Geschrieben von Katja Maeting
Band: Annisokay
Album: Arms
Genre: Metalcore
Plattenfirma: Arising Empire/Nuclear Blast
Veröffentlichung: 17. August 2018
Wer kennt es nicht, das Warten und die Vorfreude auf das neue Album der Lieblingsband. Und wenn es dann soweit ist, die kleine Panikattacke, ob nicht doch eine Enttäuschung aus den Lautsprechern schallen wird. Im Fall der neuen Annisokay-Scheibe “Arms” hab ich mich nach dem ersten Durchgang selber ausgelacht, denn die fünf Jungs aus Halle an der Saale setzen hier ihre kontinuierliche Steigerung von Album zu Album konsequent fort.
Auch wenn es in den letzten Jahren kaum ein deutscher Metalcore-Fan geschafft haben dürfte an Annisokay, oder zumindest an Christoph Wieczorek, vorbeizukommen, hier nochmal kurz die Eckdaten zur Band: Gegründet 2007, erschien 2010 die erste EP (You, Always), der ab 2014 bisher drei Alben (The Lucid Dream(er), Enigmatic Smile, Devil May Care) folgten. Zudem existiert auch noch eine EP mit Michael Jackson Covern (Annie Are You Okay?). Einem Jackson-Song ist der Legende nach auch der Bandname entlehnt. Sämtliche Songs von Annisokay werden bei Sawdust Recordings aufgenommen, dem Studio von Metalcore-Ausnahmestimme Christoph Wieczorek, der auch ein gerngesehener bzw. -gehörter Feature-Gast ist, u.a. bei Bands wie Venues, Walking Beyond oder Artemis Rising.
Markenzeichen des Quintetts ist, neben der auffälligen und perfekt harmonierenden stimmlichen Doppel-Spitze aus Shouter Dave und Clean-Sänger Christoph, die ausgewogene Melodiesetzung, welche den genau richtig bemessenen Platz für angenehme Härte lässt. Annisokay sind instrumental und stimmlich so gut aufgestellt, dass sie keinen stumpfen Vorschlaghammer nötig haben, sondern deutlich facettenreicher für Eindruck sorgen können. Auf “Arms” findet sich zwar auch die gerade vom letzten Album “Devil May Care” bekannte Vorliebe für Synthie-Passagen und Elektro-Einflüsse wieder, aber auch traditionelle Rock-Riffs bekommen hier ein Zuhause. Back to the roots, Retro-Sound und Aufbruch zu neuen Ufern in einem. Weniger Samples und Programmierung, dafür mehr pure und echte Instrumentierung, in perfekt abgewogenen Verhältnissen.
Die beiden Vorab-Singles “Unaware” und “Coma Blue” geben dabei zwar einen interessanten, aber noch längst nicht umfassenden Einblick in den aktuellen Annisokay-Sound. Hier sollte man auf jeden Fall noch “Good Stories” mit in die Betrachtung nehmen, den Zuschauern des Tour-Vlogs zumindest schon als Instrumentalversion bekannt und mit seinem aufgelockert melodischen Anfang darüber hinwegtäuschend, dass die Jungs hier mittendrin einen der fettesten Breakdown-Momente des ganzen Albums geparkt haben, der allerdings ruhig was länger sein dürfte. Ein Song, der noch am ehesten traditionellen Annisokay-Strukturen entspricht. Viel Platz für die Clean Vocals, auf gewohnt beeindruckende Weise ausgefüllt, raumgreifende melodische Ausgestaltung, verziert mit den perfekt gesetzten Härtefacetten von Shouter Dave, unterstützt von den wandlungsfähigen Instrumentalisten, die mal aufgelockert und dann wieder intensiv verdichtet zu agieren wissen.
“Sea Of Trees” ist für mich der speziellste Song auf “Arms”, sowohl musikalisch als auch thematisch. Zuerst fällt nur die intensive Emotion auf, die wechselhafte Balance zwischen Wut und Trauer, die sich in Musik und Gesang umsetzen. Der Song eröffnet mit einem treibendem Rock-Riff, auf das die Vocals von Christoph in ungewohnter, extremer Art aufsetzen. Dieser Effekt verstärkt sich noch durch die anschließende Wiederholung des Motivs in voller Instrumentierung und der Lyrics durch Shouter Dave. Bei näherer Betrachtung geht es hier um die Wut und Verzweiflung der Hinterbliebenen nach einem Selbstmord. Entsprechend wechselt der Song zwischen druckvollen, aggressiven Parts der Wut und zerbrechlichen, melodischen Momenten der Verzweiflung. Dass beide Sänger hier den gleichen Text abwechselnd singen, betont dabei noch mehr, in welcher Abwärts-Spirale die Menschen in dieser Situation gefangen sind. Es gibt kein Entkommen.
Bei “Private Paradise” zeigen die Jungs erneut Wandlungsfähigkeit und verdichten ihren Sound zu einer schleppenden, wuchtigen Klangwelle, die bedrohlich und in Zeitlupe auf einen zukommt. Annisokay goes Beatdown, zumindest ein bisschen. Damit bereiten sie ihrem Gast Chris Fronzak (Attila) die perfekte Bühne, damit er mit seinem Part endgültig den Subwoofer zerlegen kann, mit freundlicher Unterstützung der Rhythmus-Fraktion. “Locked Out, Locked In” sorgt als abschließender Track dafür, dass sich das Album in Anlehnung an das Band-Logo gewissermaßen in einem Kreis anordnet, weist der Song doch ein paar stilistische Ähnlichkeiten zum Opener “Coma Blue” auf. Allerdings geht es hier deutlich abgemildert zu, im Tempo etwas zurückgenommener und in seinen gegensätzlichen Facetten etwas weniger betont, aber trotzdem ähnlich eingängig. Folgerichtig schließt sich der Kreis nur irgendwie und nicht komplett, aber hier geht individuelle Schönheit eindeutig vor Symmetrie.
Eigentlich verdient ja jeder Song auf “Arms” seine besondere Erwähnung, aber analog zum bekannten Sprichwort gilt hier: Anhören sagt mehr als tausend Worte. Annisokay haben das geschafft, was ich eigentlich nicht für möglich gehalten hätte: sie haben “Devil May Care” von meiner internen Annisokay-Pole Position geschubst und sich definitiv einen Platz mindestens im oberen Drittel meiner Jahreswertung gesichert. Abwechslungsreich, druckvoll und voller neuer Ideen, die zwar definitiv Annisokay sind, aber schon das nächste Level der Bandentwicklung eingeläutet haben. Absolute Hörpflicht für jeden Metalcore-Interessierten!
Trackliste:
01. Coma Blue
02. Unaware
03. Good Stories
04. Fully Automatic
05. Sea Of Trees
06. Innocence Was Here
07. Humanophobia
08. End Of The World
09. Escalators
10. Private Paradise
11. One Second
12. Locked Out, Locked In
Line-up:
Dave Grunewald – Shouts
Christoph Wieczorek – Clean Vocals, Gitarre
Philipp Kretzschmar – Gitarre
Norbert Rose – Bass
Nico Vaeen – Schlagzeug
Weitere Infos:
Annisokay bei Facebook
Website von Annisokay