Annisokay – Chaos, Stress…und dann klappt irgendwie doch alles

Annisokay sind zur Zeit auf Fully Automatic Tour in Deutschland unterwegs. Vor ihrem Konzert in Köln (Bericht) nahmen sich Drummer Nico und Bassist Norbert Zeit für unsere Fragen. 

HF: Ich hab gerad vor der Tür schon euren Tourbus gesehen. Habt ihr ihn schon vermisst, nachdem ihr ja gerade erst in den USA unterwegs wart?

Norbert: In den USA war das ja ein sogenannter Bandwagon und das war wirklich extremer Luxus. Wir hatten sogar eine Dusche da drin und diese Unabhängigkeit ist einfach großartig bei Fahren von durchschnittlich 15 Stunden. Das fehlt uns hier tatsächlich ein bisschen. Die Nightliner sind zwar viel schöner, größer und luxuriöser, haben aber keine Dusche. Die Kojen waren auch extrem groß in so einem Bandwagon. Irgendwie machen wir hier gerad voll Werbung für Bandwagon, aber wenn man in den USA touren will, empfehlen wir das sehr. Wir hatten auch immer viel vom Tag, weil der Fahrer die Nacht durchgefahren ist. So konnten wir uns auch dieses extrem große Land anschauen und haben echt viel gesehen. Von New York City bis Huntington Beach einmal quer durchs Land. Wir waren im Pazifik und im Atlantik schwimmen. Großartig.

HF: War das eigentlich echt oder ein Fake, dass ihr das Ding selber abholen musstet?

Norbert: Das war tatsächlich alles echt. Wir sind in Amerika angekommen und unser Fahrer hat uns abgesagt.
Nico: Das war die erste Nachricht, die wir bekommen haben nach der Landung.
Norbert: Dann standen wir erstmal vor der logistischen Herausforderung: wie kommen wir an das Auto. Das war sechs Stunden von uns entfernt und der Fahrer sollte uns eigentlich abholen. Im Endeffekt ist dann Nico erst sechs Stunden hin und dann sechs Stunden wieder zurück gefahren.
Nico: Die Rückfahrt war sogar länger, denn mit dem Bus konnte man nur 65 Meilen fahren. Ich glaub, wir waren insgesamt so 17-18 Stunden unterwegs, reine Fahrtzeit.
Norbert: Man muss dazu sagen: das ist ein LKW und jeder darf den fahren. Das ist Amerika.
Nico: Für mich ist auf jeden Fall ein Kindheitstraum in Erfüllung gegangen. Einmal LKW fahren – Trucker Nico 😉 Omnisbusfahrer wäre genau mein Ding. 

HF: Ihr arbeitet ja auch noch ganz normal, d.h. euer Urlaub wird für die Tourneen drauf gehen. Gleichzeitig trefft ihr euch ja wahrscheinlich nicht mehr ganz Oldschool wöchentlich im Proberaum. Wie bereitet ihr euch dann auf so eine Tour vor?

Norbert: Das ist bei uns tatsächlich sehr problematisch, sehr stressig und sehr chaotisch. Die Woche vor der Tour ist extrem, was die Vorbereitung angeht. Wir haben halt nicht die Zeit, weil wir auch örtlich getrennt sind und das macht das alles schon sehr schwer. Aber dann klappt irgendwie doch alles. Wir haben jetzt auch das erste Mal nen eigenen Nightliner, das war für uns auch ein bisschen Abenteuer, wie das alles läuft und ob wir das alles organisiert kriegen. 

HF: Wie war es jetzt eigentlich, mal nicht Headliner zu sein? In Deutschland seid ihr ja doch schön öfters Headliner, wenn ihr irgendwo auftretet, macht auch eigene Headliner-Touren…und jetzt wart ihr Vorgruppe. Ist das eher entspannend oder irritierend?

Nico: Das ist ne andere Rolle einfach. Das hatten wir in Deutschland aber auch schon. Vorletztes Jahr waren wir z.B. mit Eskimo Call Boy unterwegs, ich damals zum ersten Mal, bezogen auf die Bandgeschichte. Oder Anfang diesen Jahres mit Callejon, wir kennen die Rolle also, das ist also nichts ungewohntes für uns. Aber es ist halt ein bisschen anders, man hat halt andere Abläufe am Tag und speziell natürlich am Abend. 
Norbert: Ich hätte auch echt große Angst gehabt, wenn wir als Headliner nach Amerika gefahren wären. Wer kennt uns denn da schon?…Aber es war tatsächlich angenehm, so eine Stütze zu haben, eine Band, die einen quasi mitzieht. Das war schon wichtig für die erste Amerika-Tour.

HF: Ihr hattet da ja nicht immer die größten Locations und es gab ja auch ein paar, die ein bisschen leer aussahen…

Norbert: Richtig. Aber ich glaube, das ist auch der Größe des Landes geschuldet…und vielleicht der Größe der anderen Band. Aber das war für uns egal.
Nico: Das haben wir aber auch hier. Man kann das zwar nicht so ganz miteinander vergleichen, aber hier in Deutschland hat man auch Städte, in denen man weniger zieht, das Einzugsgebiet entsprechend ist oder auch andere Konzerte sind. Man weiß ja meistens nie, woran es liegt…Beschweren wollen wir uns auf gar keinen Fall. Wir haben von ner Sports Bar mit 30 Leuten bis hin zu Clubs mit 400 Leuten gespielt und wollen auch die Sports Bars mit der Bühne in der Ecke nicht missen. 
Norbert: Es ist auch tatsächlich verrückt, wenn man dann vorne in der ersten Reihe Leute sieht, die die Texte können. Das fühlt sich surreal an, wenn man so denkt: das sind die Sachen, die wir uns zuhause ausgedacht haben, am anderen Ende der Welt sozusagen. 
Nico: Es waren eigentlich auch jeden Abend Leute nur für uns da. Das ist eigentlich viel wichtiger, finde ich, als der Fakt, ob da 20 Leute stehen oder 200. Man muss sich mal überlegen, was wir da machen dürfen. Wir fliegen gefühlt ans andere Ende der Welt und es kommen Leute zu unseren Shows. 

HF: Wo ihr gerad schon sagtet, dass einige Leute die Texte konnten – auf „Arms“ gibt es ja einige Texte, die man so oder so interpretieren kann. Gerade bei „Fully Automatic“ habe ich mich gefragt: was sagen die Amis dazu? Habt ihr dazu schon mal ein Feedback gekriegt?

Norbert: Leider nicht. Wir haben den Song aber auch tatsächlich in Amerika nicht gespielt, den spielen wir erst jetzt seit der Headliner-Tour. Aber was du gerad angesprochen hast, das erwarten wir auch ein bisschen: Wie sehen die Amis das? Das ist ja auch seit Jahren ein heikles Thema bei denen und kocht immer wieder hoch. Auch im Moment ist es wieder total präsent mit den ganzen Schießereien und den Amok-Läufen, die da ja doch regelmäßig stattfinden. Auf dieses Thema spricht der Song ja auch an, auch gerade mit diesem interessanten Präsidenten, den die haben… aber leider haben wir noch kein Feedback bekommen, ob bzw. wie die Leute den Song verstehen. 

HF: Ihr habt ja auch ein Tour-Tagebuch gedreht. War das mal willkommene Abwechslung oder noch ein bisschen zusätzlicher Stress?

Norbert: Beides. Es war natürlich eine Herausforderung, sich immer aufzuraffen und produktiv zu sein und nicht nur in der Koje zu hängen. Aber es auch toll und wichtig. Ich bin z.B. jemand, der nie privat Fotos macht und so konnte ich allen zuhause sagen: ist doch bei YouTube, da könnt ihr euch angucken, was ich so gemacht habe 😉 Und für uns ist es natürlich auch eine tolle Erinnerung. Wenn wir uns das in 20 Jahren nochmal angucken, das ist bestimmt witzig. 
Nico: Es war auch so schon witzig, muss man sagen. Wir haben die Videos immer ein paar Tage vorher schon im Schnitt gesehen, es gab zwischendurch immer ein paar Einblicke und es war auch für uns selbst lustig.
Norbert: Wir haben am Anfang überlegt: Wollen wir so rüberkommen? Also mal die Eitelkeiten beiseite schieben und auch mal ein bisschen blöd sein. Das ist ja auch nicht immer so einfach, wenn man dann auf die Arbeit zurückkommt und einen die Kollegen drauf ansprechen….aber man muss auch mal über sich selber lachen können. 

HF: Bringt ihr das Tagebuch eigentlich irgendwann als Bonusmaterial, beim nächsten Album vielleicht? Oder meinetwegen separat als DVD?

Norbert: Das ist ne gute Idee. Aber übers nächste Album denke ich gerad noch gar nicht nach.
Nico: Das wäre eigentlich mal was. Ich mag sowas, so Spezial Artikel von Bands. Box Sets gibt’s ja jetzt schon seit einigen Jahren. Haben wir jetzt auch eins gemacht. Das gehört ja auch ein bisschen dazu, wo dann noch Goodies mit bei sind. Bei uns waren es jetzt z.B. die Instrumentals, die es halt auch nur in den Boxen gibt. Ich mag sowas generell, auch Vinyl oder DVDs…also wer weiß, vielleicht überlegen wir uns sowas ja noch. 

HF: Bei den Bands, die schon länger dabei sind und mehrere Alben gemacht haben, kommt ja oft die Diskussion: klingt nicht mehr wie früher vs. klingt alles wie die alten Sachen. Veränderungen werden verteufelt, keine Veränderungen genauso. Christoph hatte mal gesagt, bei „Arms“ habt ihr eigentlich nur das gemacht, was ihr wolltet, ohne auf andere Meinungen zu achten…

Norbert: Wir machen es eigentlich schon immer so, dass wir nicht denken: was könnte den Leuten gefallen? Man weiß es ja nicht. Deswegen ist eigentlich sinnlos, darüber nachzugrübeln. Im Endeffekt machen wir einfach die Songs, die wir gut finden. Was ich auch immer gut finde: wir, bzw. Christoph, der ja den größten Teil der Musik schreibt, der befasst sich so sehr mit dem Album, dass er keine Musik mehr hört. Der sitzt 6-12 Stunden im Studio, arbeitet am Album und fährt dann nach Hause und hat keine Lust mehr auf Musik. Das ist eigentlich ganz cool, weil wir uns dann nicht an irgendwelchen Trends orientieren, weil wir einfach die neuesten Alben gar nicht kennen. 

HF: Ihr habt ja seit dem ersten Album ein ziemlich stabiles Line-up, lediglich Nico ist zwischendurch neu dazugekommen. Was ist das Geheimnis eurer Band-Ehe, dass ihr euch so lange schon vertragt?

Norbert: Tatsächlich ist das das Schwerste überhaupt. Nicht das Musik machen, sondern das miteinander klarkommen und die Leute zusammenzuhalten. Wir haben ja schon die Herausforderung, dass wir örtlich getrennt sind. Dann haben wir natürlich auch alle wenig Zeit, jeder hat seinen eigenen Weg im Leben und manchmal führen die Wege halt auseinander, das ist ein ganz normaler Prozess. Fans haben wahrscheinlich oft die Vorstellung, dass die Bands zusammen im Proberaum sind und im Studio und Zeit miteinander verbringen. Das ist aber tatsächlich nicht so und ist auch oft schwierig. Ein Geheimnis haben wir da nicht, es ist, glaube ich, purer Zufall. 
Nico: Es ist ne Einstellungssache vor allem. Ich glaube, man kann auch nur dabei bleiben, wenn man für sich selbst entscheidet, dass man das möchte. Man muss auch seine Job-Situation klären und da auch ggf. Abstriche machen, aber ohne diese Einstellung funktioniert es halt nicht. 

HF: Welcher eurer Songs geht euch eigentlich am meisten auf den Keks?

Norbert: „Loud“! Den mag ich echt nicht spielen. Ist nicht gerad einer meiner Lieblingssongs. „Gold“ find ich auch schwierig. Auf dem Album find ich ihn super, aber live funktioniert der nicht so gut, denke ich. Aber wir spielen ihn trotzdem 😉
Nico: Ich hab da so spontan keinen, den ich nennen würde. Ich würd es anders formulieren: Es gibt Songs, die machen Spaß und es gibt Songs, die machen noch mehr Spaß. 
Norbert: Falls die Frage darauf abzielt, ob wir es leid sind, die alten Songs zu spielen, das ist nicht so. Es gibt ganz alte Songs, die machen mir immer wieder Spaß.

HF: Wo wir gerad bei speziellen Songs sind: Es gibt im Moment viele Bands, die in ihren Videos auf die Telefonseelsorge aufmerksam machen. Ihr macht dies auch bei „Sea Of Trees“. Habt ihr das Gefühl, dass ihr mit eurer Musik etwas in die Richtung bewirken könnt? Habt ihr da schon mal entsprechendes Feedback von den Fans erhalten?

Norbert: Ja, dieses Feedback bekommen wir durchaus. Tatsächlich treffen wir immer mal wieder auf Leute, die uns im Gedächtnis bleiben, die uns von ihrer schwierigen Lebenssituation erzählen und denen da, vielleicht auch einfach aus Zufall, unsere Musik geholfen hat. Das geht einem oft auch ziemlich nahe. Aber wir sind keine Psychologen und können da auch keine Ratschläge geben. Das sollen die Songs auch nicht sein, sie beschreiben einfach nur Situationen, die wohl jeder mal durchlebt, seien es nun Verluste oder schwere Rückschläge im Leben. Tatsächlich fand ich die Idee mit der Einblendung der Nummer zuerst schwierig, aber dann dachte ich mir: das ist eigentlich genau der richtige Weg, weil wir nicht die Antwort sein können. Wenn Leute Hilfe brauchen, dann finden sie die bei den Profis, daher war es wichtig, dass wir, wenn wir so ein ernstes Thema anschneiden, dann auch darauf hinweisen, dass es diese Hilfe gibt. 

HF: Wie fühlt es sich für euch an, so langsam selber zum Einfluss und Vorbild zu werden?

Norbert: Da hab ich noch nie drüber nachgedacht…ich glaube, man weiß einfach, das man es nicht ist. Jetzt mal nur auf die Musik bezogen: natürlich hat jeder, wenn er anfängt, seine Vorbilder, wie sollte man anders auch anfangen und seinen Weg finden…oft ist es auch einfach Zufall…ich glaube einfach, niemand ist etwas besonderes, wir sind alle ganz normale Menschen. 
Nico: Im Prinzip finde ich den Gedanken super. Nicht weil ich oder wir uns toll finden, sondern weil das ja dann bestätigt, wofür man das Ganze macht. Man beeinflusst das ja nicht. Man macht einfach sein Ding und dann finden, mit ein bisschen Glück, ein paar Leute die Band gut. Aber wirklich beantworten können wir dir die Frage nicht. 

HF: Vielen Dank für das Interview. Wir wünschen euch gleich viel Spaß bei der Show. 

Interview: Katja Maeting
© Photos by Dirk Draewe (InternetFacebookInstagram)

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