Anti-Flag – American Reckoning

© Anti-Flag

Geschrieben von Katja Maeting
Band: Anti-Flag
Album: American Reckoning
Genre: Punk Rock/ Political Punk/Americana
Plattenfirma: Spinefarm Records
Veröffentlichung: 28. September 2018

Bei mir gibt es zwar keinen Bonus für (Szene-) Legenden, aber wer sich 25 Jahren lang dem politischen Punk widmet und sich den entsprechenden Reaktionen stellt, hat auf jeden Fall schon mal Respekt verdient. Zudem macht es mir das Leben erheblich einfacher, wenn ich zu einer Band nicht noch großartig Historie auspacken muss. Wer sich im Punk zuhause fühlt, weiß, wer Anti-Flag sind und wie ihre Musik klingt. Wer mit Punk nichts am Hut hat, wäre umgekehrt wahrscheinlich sowieso genervt von der Musik des amerikanischen Quartetts und ihren politischen Botschaften. Zumindest bis jetzt.

Nach zehn Studioalben und einer ähnlich hohen Zahl an EPs und anderen Veröffentlichungen legen Anti-Flag mit „American Reckoning“ nun ein Akustik-Album vor. Wahrscheinlich stellt sich dabei nicht nur mir sofort die Frage, ob das gutgehen kann, denn Punk lebt nun mal von seiner äußerst beschränkten Anzahl an Akkorden, ner guten Portion fettem Gedresche und wahlweise Wut oder Angepisstheit im Gesang. Zumal Anti-Flag hier keine neuen Songs geschrieben haben, sondern eine Auswahl von Stücken ihrer letzten beiden Alben „American Spring“ und „American Fall“ ins akustische Gewand gekleidet haben. Dazu kommen noch drei „normale“ Cover von etwas überraschenden Songs, die laut Band Inspiration und Einfluss für das eigene Schaffen waren. 

Zwar haben Anti-Flag schon durch mehrere Live-Alben erstaunlich viel Akustik-Erfahrung, im Studio hatten sie sich bisher aber noch nicht daran versucht. Geplant war dieses Album ursprünglich nicht, aber da die Band nach dem Release von „American Fall“ aufgrund der privaten Situation von Sänger Justin nicht so ausgiebig wie gewohnt touren konnte, fiel die Wahl zwischen „wir machens“ oder „wir machen überhaupt nichts“ äußerst leicht. So entstand mit „American Reckoning“ der Abschluss der American-Reihe, in der sich Anti-Flag an der thematisch immer sehr ergiebigen politischen Situation in den Vereinigten Staaten abgearbeitet haben. Hier fassen sie noch einmal die wichtigsten Aussagen (=Songs) der beiden vorherigen Alben zusammen und kleiden diese erstaunlich stimmig in ein Gewand aus Folk und Americana-Klängen. Letzteres ist ein Musikstil, der sich aus Folk, Country und Blues ableitet, typisch amerikanische Überlieferungen aufgreift und oft Sozialkritik äußert. Also perfekt für Anti-Flag, um ihre Botschaften stilistisch anders auszudrücken und einem größeren Publikum zugänglich zu machen. 

Schon beim ersten Track „The Debate Is Over (If You Want It)“ wird klar, dass es Anti-Flag auch in diesem gemäßigteren Soundgewand schaffen, Punk zu verbreiten, auch wenn ihnen nur Akustik-Gitarren zur Verfügung stehen. Durch die minimalistische musikalische Untermalung treten die Botschaften der Texte noch mehr in den Vordergrund und die entschleunigte Darbietung öffnet das Werk von Anti-Flag für Leute, die mit Punk an sich nichts zu tun haben. In diesem für Außenstehende wahrscheinlich seriöseren Stil wird abseits allen Partyfeelings klar, worum es im Punk geht und immer ging, nämlich den Mund aufzumachen. Mir gefällt diese Öffnung der Anti-Flag Einstellung für Bereiche außerhalb der üblichen Wirksphäre erstaunlich gut. 

Bei ihren Interpretationen der Lieder von John Lennon, Buffalo Springfield und Cheap Trick wirken Anti-Flag hingegen etwas im Zwiespalt. Weder bleiben sie hundertprozentig beim Original, um die Songs als reines Tribut zu präsentieren, noch stecken sie sie komplett ins Anti-Flag Gewand. Wenn man die drei Stücke allerdings als Präsentation dessen sieht, was den Sound und das Wirken von Anti-Flag beeinflusst hat, auch wenn es genre-mäßig meilenweit entfernt scheint, so funktioniert auch das ganz gut. Zumal die Band so die Möglichkeit hatte, auch als komplettes Kollektiv auf diesem Album in Erscheinung zu treten. 

Insgesamt ist „American Reckoning“ ein Resümee der Band-Sicht auf die amerikanische Politik und Gesellschaft – und manche Aussagen dazu kann man einfach nicht oft genug wiederholen. Vielleicht erreichen Anti-Flag so ja ein paar neue Ohren für ihre Botschaft. Mir gefällt die Umsetzung auf jeden Fall, denn verstellen tun sie sich auch im neuen Soundgewand niemals. Wer Anti-Flag oder akustische Gitarren mag, sollte auf jeden Fall reinhören.

Trackliste:
01.The Debate Is Over (If You Want It) (Acoustic)
02.Trouble Follows Me [Explicit] (Acoustic)
03.American Attraction (Acoustic)
04.When The Wall Falls (Acoustic)
05.Racists [Explicit] (Acoustic)
06.Set Yourself On Fire (Acoustic)
07.Brandenburg Gate (Acoustic)
08.Gimme Some Truth
09.For What It’s Worth
10.Surrender

Line-up:
Justin Sane – Guitar/Vocals
Pat Thetic – Drums
Chris #2 – Bass/Vocals
Chris Head – Guitar

Weitere Infos:
Anti-Flag bei Facebook
Website von Anti-Flag

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