Vier Konzerte spielt der hemdsärmelige Seasick Steve auf seiner aktuellen Tour in Deutschland, eines davon vergangenen Sonntag in Frankfurt. Unser Matze war dort.
Manchmal dauert es eben etwas länger. Seasick Steve ist über 50, als er 2004 sein erstes Album rausbringt – und ich komme zu seinem Konzert am Sonntagabend in der Frankfurter Batschkapp über 50 Minuten zu spät (Verkehr und so). Heißt konkret: Als ich die Tür in die Halle reingehe, ist Opening Act James Dixon schon lange von der Bühne, das Publikum in vorfreudigem Enthusiasmus begriffen. Und als dann die letzten Klänge von Otis Reddings „Sitting on the Dock of the Bay“ verklingen, denken manche schon: Jetzt geht’s los! Doch dann kommt erstmal noch „Under the Boardwalk“. Und dann noch ein anderer Song.
Punkt 20 Uhr aber wackelt, wurzelt, wandelt Seasick Steve, Jahrgang 1951, auf die Bühne – und die Leute gehen steil! Gut 1000 Leute dürften es sein. Sehr viele davon jenseits der 50, sehr viele mit grauem, schütterem oder gar keinem Haupthaar mehr. Und so mancher sicher auch noch ein oder zwei Jährchen älter als der Protagonist des Abends. Es ist ein eher gemütliches Publikum, das sich in der Batschkapp zum Ausklang des Wochenendes eingefunden hat. Aber es ist auch eines, das am Sonntagabend noch bemerkenswert begeisterungsfähig ist – während sich andere zu Hause vom „Tatort“ einlullen lassen.
Zwei Instrumente für ein Halleluja
Doch Einlullen, das ist mit Seasick Steve und seinem Kompagnon Crazy Dan an den Drums nicht drin. Die nächsten gut anderthalb Stunden plus Zugabe gibt es räudigen Electric Blues allererster Güteklasse auf die Ohren – was auch am Sound liegt, an dem es nichts, aber auch gar nichts zu mäkeln gibt. Okay, es sind halt auch nur zwei Instrumente und eine Stimme, die es durch die PA zu jagen gilt. Aber das gelingt geradezu vorzüglich. Dazu kommt die Songauswahl beim Publikum richtig gut an. Auch wenn viele der Anwesenden so manche Stücke vermutlich gar nicht kennen, mich mit inbegriffen, wird nach jeder einzelnen Nummer frenetisch gejubelt.
Doch wie jeder weiß: Nach dem Song ist vor dem Song. Und vor dem jeweils nächsten passiert auf der Bühne immer was. Steve wechselt zu jeder Nummer seine Gitarre. Und wenn er dazu mal keine Geschichte parat hat, nippt er an seinem Tee, während er sich die Nase zuhält – und nimmt dann ein Schlückchen Whiskey hinterher. Immer mit den Worten: „That was tea. And this is for me.“
Kein Schnaps im Hause Jack Daniel’s
Oft hat er aber auch mehr zu erzählen. Etwa dass er den Winter gar nicht mag und deshalb demnächst nach Australien abhauen werde. Worauf das Duo dann den „Summertime Boy“ zum Besten gibt. So manchen Fun Fact haut Steve auch raus. So sei der Konsum von Alkohol in Lynchburg, Tennessee, dem Sitz der Whiskey-Destillerie Jack Daniel’s, bis heute verboten. „It’s a dry county“, schmunzelt er (und sagt die Wahrheit).
Genauso gut beim Publikum an kommen die Geschichten zu seinen selbst gebastelten Gitarren, teils einfach aus einem Stück Holz, etwas Blech und ein oder zwei Saiten zusammen gefriemelt. Oft bezeichnet er die DIY-Klampfen als „piece of shit“, meist verbunden mit dem Hinweis „And I’m not saying it sounds good“. Doch dann greift er in die Saiten – und es klingt natürlich verdammt gut! Und was der wortlose Crazy Dan dazu trommelt, das klingt auch verdammt gut, immer.
Eine Ständchen für Linda, ein Dank an alle
Die Zwei wissen ganz genau, was ihr Publikum will. Und genau das geben sie ihm. Eine Linda aus dem Publikum wird sogar auf die Bühne gebeten und bekommt dort dann ein Ständchen gesungen: „My name is Steve, and I’m your walkin man.“ Eine unterschriebene LP bekommt Linda auch noch mit. Doch auch dem Rest des Publikums weiß Steve zu vermitteln, was es ihm wert ist.
So manche Band, sagt er, denke, sie tue ihrem Publikum einen Gefallen, wenn sie spiele. Er sehe das anders. Es sei immer das Publikum, das ihm und Crazy Dan einen Gefallen tue, indem es zu den Gigs komme. „Denn Ihr, liebe Leute, seid unser Boss.“ Er und Dan hätten schon viele Jobs gehabt, aber noch keinen besseren Boss. Das kommt an bei den Leuten in der Batschkapp, logo.
Komm noch mal wieder, Steve!
Und dann sagt er noch: Er sei ja kein „spring chicken“ mehr, kein junges Küken also. Weshalb er nicht wisse, ob oder wie oft er nochmal wieder kommen könne. Das macht die Leute nachdenklich, auch mich. Aber wie singt Steve so schön? „I started out with nothing, and I still got most of it left.“ Dann hoffen wir mal, dass er noch was im Tank hat – und nochmal wieder kommt.
Text und Bild: Mathias Keiber