Geschrieben von: Klaus Saalfeld
Band: Electric Callboy
Album: Tekkno
Genre: Trancecore
Plattenfirma: Century Media Records
Veröffentlichung: 16.09.2022
Vor ziemlich genau einem Jahr hätte ich jeden, der mir gesagt hätte, ich würde mir mal freiwillig ein Album von Electric Callboy anhören, ohne mit der Wimper zu zucken auf seine geistige Verfassung untersuchen lassen. Aber wie es der Zufall so will, hörte ich während einer Autofahrt beim Rocksender meines Vertrauens (der mit den drei Buchstaben), wie ein Hörer den Song „We Got The Moves“ von (damals noch) Eskimo Callboy als „das Geilste seit Hypa Hypa“ anpries. Müßig zu erwähnen, dass ich in diesem Moment ernsthaft am Verstand des Hörers zweifelte, da ich beim Titel lediglich an die Ohrenkrebs erzeugende Nummer von Scooter dachte, nicht ahnend, dass die Callboys eine fast gleichnamige Nummer veröffentlicht hatten. Aber das was ich da hörte klang dann doch gar nicht mal so übel, und das dazugehörige Video hat mich dann endgültig angefixt.
Über den Hype, der im Zuge des „Hypa Hypa“ Videos, der Bewerbung der Band für den ESC sowie der Namensänderung speziell in den sozialen Medien entstanden ist, möchte ich an dieser Stelle ebenso wenig eingehen wie auf den wohl hinlänglich bekannten Wechsel am Mikrofon (Nico Sallach ersetzte vor zwei Jahren Sebastian „Sushi“ Biesler). Widmen wir uns also der sechsten Langrille der aus Castrop-Rauxel stammenden Formation. Warum man eine Metal Scheibe ausgerechnet „Tekkno“ betitelt, erschließt sich mir zwar nicht so recht, dürfte aber irgendwie auch dem Humor der Band entsprechen.
Die ESC Bewerbung „Pump It“ eröffnet den Songreigen, das bewährte Rezept von „EDM Beats treffen im Wechsel auf Core-Screams“ ist zwar vorhersehbar, funktioniert aber prächtig. Die Nummer ist – wie eigentlich fast alle Tracks – ein absoluter Ohrwurm, der Breakdown tritt kräftig in den Allerwertesten und nach nicht einmal drei Minuten endet das Ganze (leider) ziemlich abrupt. Das bereits vor einem Jahr veröffentlichte „We Got The Moves“ könnte man glatt als großen Bruder des Openers bezeichnen, denn in Sachen Eingängigkeit steht der Song seinem Vorgänger in nichts nach, wobei ich „We Got The Moves“ knapp vorne sehen würde, denn allein die Mischung aus Party-Rave mit Mitgröl Lyrics und harten Riffs im Breakdown habe ich in der Kombination derart gelungen noch nicht gehört.
Mit dem folgenden „Fuckboi“ folgt so etwas wie ein Stilbruch, denn der Song unterscheidet sich doch merklich vom Gros der Tracklist. Zusammen mit der amerikanischen Post-Hardcore Band Conquer Divide legen die Callboys eine Art Skate-Pop-Punk Nummer hin, die wie eine cheesige Mischung aus Avril Lavigne und Blink 182 klingt. Wenn es eine Nummer auf „Tekkno“ gibt, die theoretisch im kommerziellen Radio laufen könnte, dann ist es dieser Track. Kann man mögen, muss man aber nicht. Da kann „Spaceman“ doch deutlich besser punkten, auch wenn die Rap-Parts von FiNCH sicherlich Geschmacksache sind. Wer die Hookline nicht wochenlang im Ohr behält, sollte dringen mal den Otologen seines Vertrauens aufsuchen.
Mit „Mindreader“ folgt der erste „neue“ Track (da nicht vorab veröffentlicht). Nach einem atmosphärischen Synth Intro folgt der auf den gesamten Song bezogen wohl härteste Track des Albums. In gewisser Weise drängt sich der Vergleich zu „Crystals“ auf, auch wenn „Mindreader“ nachhaltig von Trance Elementen geprägt ist. Nach den vorherigen Spaß Nummern wirkt das Ganze wie ein ernsteres Intermezzo, und obwohl der Refrain abermals sehr eingängig geraten ist, benötigt das Stück ein paar Anläufe um mit den vorherigen Über-Nummern einigermaßen mithalten zu können.
„Arrow Of Love“ geht hingegen wieder ohne Umschweife in die Gehörgänge. Der Song ist so etwas wie ein Abziehbild von „Pump It“, kombiniert mit einigen Anleihen von „MC Thunder“, auch wenn hier der Rave Anteil etwas höher angesiedelt ist. „Parasite“ erinnert mich an eine Techno-lastige, verzerrte Variante von The Prodigy, nur halt mit Screams, zudem gesellen sich einige Dubstep-Elemente sowie Deathcore hinzu, die man selbst bei ELECTRIC CALLBOY in dieser Kombination womöglich nicht erwartet hätte. Beim Titeltrack scheint sowohl lyrisch (…“shaky shaky sweaty sweat you make my spaghetti ready heat up the sauce it’s a dinner for one“…) als gesangstechnisch Bloodhound Gangs‘ „The Bad Touch“ Pate gestanden zu haben – zumindest soweit es die Strophen betrifft, der Rest ist der gewohnte Mix aus catchy Chorus und harschen Core Passagen. Ebenso genial wie – im positiven Sinn – bekloppt sind die „choo choo choo choo choo choo choo“ Lines, die den Spaß Faktor nachhaltig unterstreichen.
Mit gerade einmal 1:38 Minuten folgt der kürzeste Track des Albums, und krasser könnte der Kontrast innerhalb eines Songs nicht sein. Das Teil startet als grenzdebile Schlager Parodie, und als man sich gerade zu fragen beginnt, was zur Hölle denn hier abgeht, mutiert die Nummer völlig unerwartet zum Deathcore-Abriss einschließlich einiger Pig-Screams. Müßig zu erwähnen, dass das dazugehörige Video ein Muss ist! Abgeschlossen wird „Tekkno“ von „Neon“, ein Song, der ausnahmsweise komplett ohne Screams auskommt und quasi einen Nico Sallach Alleingang darstellt. Hier könnte man durchaus Parallelen zu „Prism“ ziehen, wenngleich hier der Elektronik Anteil deutlicher vernehmbar ist.
Wer noch nie zuvor von ELECTRIC CALLBOY gehört hat, wird womöglich einen dieser „WTF?“ Momente Elemente erleben, die einen zunächst sprachlos zurücklassen. Auch eingefleischte Metal Heads dürften ob der vielen Metal-fremden Elemente nur hilflos nach dem Slayer ihres Vertrauens schreien. Wer aber musiktechnisch offen für alles ist und/oder ein Faible für catchy Hooklines hat, könnte mit „Tekkno“ ebenso viel Spaß haben wie ich, der ansonsten zumeist eher in traditionellen Gefilden zu Hause! Und auch wenn ELECTRIC CALLBOY wohl wie gehabt weiter polarisieren werden, würde ich meine letzten Haare darauf verwetten, dass die Scheibe Platz eins der Album Charts entern wird! Wetten, dass?
Von mir gibt es 8,5 von 10 Hellfire Punkten
Trackliste:
- Pump It
- We Got The Moves
- Fuckboi (feat. Conquer Divide)
- Spaceman (feat. FiNCH)
- Mindreader
- Arrow Of Love
- Parasite
- Tekkno Train
- Hurrikan
- Neon
Line Up:
Kevin Ratajczak: Gesang, Keyboards
Daniel „Danskimo“ Haniß: Gitarre
Pascal Schillo: Gitarre
Daniel Klossek: Bass
David Friedrich: Drums
Nico Sallach: Gesang
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