Hellfire-Crossfire: Rammstein – Zeit

(C) Rammstein

Band: Rammstein
Album: Zeit
Genre: NDH
Plattenfirma: Universal Music
Veröffentlichung: 29.04.2022

Wenn es aus musikalischer Sicht an dieser vermaledeiten Corona-Pandemie überhaupt etwas annähernd Positives gibt, dann die Tatsache, dass viele Bands aufgrund mangelnder Auftrittsmöglichkeiten die freie Zeit genutzt und neues Material eingespielt haben. Da bildet Deutschlands erfolgreicher Hartwurst-Export RAMMSTEIN keine Ausnahme. Gönnten sich die Berliner nach „Liebe Ist Für Alle Da“ einst eine zehnjähige Schaffenspause bis zu ihrem Streichholzalbum, folgt die neue Scheibe „Zeit“ immerhin schon drei Jahre später.

Was unsere Redaktion darüber denkt, lest ihr im nachfolgenden „Crossfire“:


Klaus:

Was wurde im Zuge der Veröffentlichung des gleichnamigen Titeltracks nicht schon gemunkelt, „Zeit“ könnte RAMMSTEINs Schwanengesang werden. Und ganz von der Hand zu weisen ist diese Annahme nicht, schließlich können Textzeilen der Vorab-Single wie „Wenn unsere Zeit gekommen ist, dann ist es Zeit zu gehen. Aufhören, wenn’s am schönsten ist, die Uhren bleiben stehen“ nicht nur auf die Vergänglichkeit des Menschen im Allgemeinen interpretiert werden. Auch sonst ist „Zeit“ (das Album) sehr melancholisch und nostalgisch und – für RAMMSTEIN Verhältnisse – auch vergleichsweise zahm ausgefallen. Ob das dem fortschreitenden Alter des Sextetts oder der aufkommenden Wehmütigkeit ob des sich abzeichnenden Abschieds geschuldet ist?

Der Opener „Armee der Tristen“ jedenfalls versprüht mit wimmernden Synthies vom ersten Ton an Schwermut, die Riffs sind einfach, aber einnehmend und sorgen für dem Titel entsprechende für Marsch-Rhythmik („…im Gleichschritt gegen Glück…“). Die massiven „Komm Mit“ Gesänge im Refrain kommen wiederum Rammstein-typisch vertraut vor, ansonsten braucht diese getragene Nummer schlicht Zeit um nachhaltig zu gefallen. Über den großartigen Titeltrack bedarf es keiner großen Worte mehr, die pathosreiche Breitwandballade im Stil von „Ohne Dich“ dürfte bestens bekannt sein. Auch „Schwarz“ hält die bedrückende Stimmung aufrecht, der mit Piano Klängen unterlegte Song schleicht düster und bedächtig daher („…das Tageslicht ist kein Verlust, die Nacht hält vielen ihre Brust, Trinker, Huren und Verschwörer sind den Schatten zugehörig“) und sogar Tills Gesang klingt im Chorus eher nach Schlager als nach Metal.

Muss man bis hierhin konstatieren, dass der schleppende Eröffnungsdreier mehr als ungewöhnlich für eine Band wie RAMMSTEIN ausgefallen ist, bringt erst Titel Nummer vier „Giftig“ ein wenig mehr Galligkeit, ein tuckernder Midtempo Stampfer mit an „Mein Land“ erinnernden Synthies und reichlich rollendem „R“. „Zick Zack“, der sich über plastische Chirurgie und die absurde Besessenheit der Gesellschaft, jung, schlank und schön zu bleiben, auslässt,  klingt wie eine Mischung aus „Los“ (Full Band Version) und Disco Beats der Marke „Ausländer“. Wäre da nicht der amüsante Video-Clip, die Nummer würde vermutlich nicht sonderlich hervorstechen.

„OK“ steht für „Ohne Kondom“ und wird absurderweise von einer Art Nonnen-Chor eingeleitet, bevor 80er Jahre Synthies und an „Waidmanns Heil“ erinnernde Riffs einsetzen. Der Text hätte genauso gut von Till Lindemanns Solo-Projekt stammen können („…viele Löcher sind zu stopfen, kein Verstand, doch sehr viel Sinn, wird belohnt mit stetem Tropfen, man steckt, steckt nicht drin…“), ansonsten überrascht lediglich der aggressive Ausbruch gegen Ende des Songs. „Meine Tränen“ lässt es wieder langsam und bedächtig angehen, klanglich weckt der Track mit missbräuchlicher Mutter-Sohn Thematik Erinnerungen an „Puppe“ und „Nebel“. Mit „Angst“ folgt ein weiterer gedrosselter Midtempo Stampfer mit typischen Stakkato-Riffs, bei dem der irre Gesang im Schlussteil abermals an „Puppe“ erinnert.

Wenn ein Song den Titel „Dicke Titten“ trägt, erwartet man vermutlich dumpf daher gebrüllte Fick-Parolen, doch die Blasmusik-Einlage zu Beginn sowie in der Bridge vorm letzten Chorus und der Schunkel-Klatscher Refrain sorgen für unerwartete Heiterkeit. Auch der Text über die peinlich-oberflächlichen Ansprüche mancher Zweibeiner ist weniger platt als gefürchtet („…muss sie nicht schön sein, sie muss nicht klug sein, nein sie muss nicht reich sein, doch um eines möcht ich bitten, Dicke Titten…“). Man kann die Nummer natürlich als reichlich albern abtun, für mich ist das Teil aber eine gelungene Persiflage („Aber schön muss sie sein“ lässt grüßen).

„Lügen“ ist eine sich im Verlauf steigernde balladeske Nummer mit schlagerhafter Hookline, bei der Tills Stimme in Teilen stark autotuned ist, was vermutlich als Anspielung auf so manche stimmliche „Leistung“ im Pop-Bereich gedacht ist. Abgeschlossen wird das Album mit „Adieu“, der die eingangs erwähnten Auflösungsgerüchte zusätzlich befeuern dürfte. Vordergründig geht es um die Vergänglichkeit des Seins, andererseits legen Zeilen wie „“Adieu, goodbye, auf Wiederseh’n, den letzten Weg musst du alleine geh’n, ein letztes Lied, ein letzter Kuss, kein Wunder wird gescheh’n…“ den Band Abschied nahe, erst recht, wenn man sich auf einen der größten Hits („…sogar die Sonne wird verglühen…“) bezieht. Musikalisch gesehen ist „Adieu“ ein weiterer getragener Track mit Klasse Hookline, der, sollte es denn wirklich der finale Song sein, eine würdige Abschlussnote wäre. Aber wer weiß, vielleicht führen uns RAMMSTEIN auch nur an der Nase rum…

Ich kann verstehen, wenn jemand „Zeit“ als eines von RAMMSTEINs schwächeren Alben abtun sollte, denn anders als sein selbstbetitelter Vorgänger enthält „Zeit“ keine offenkundigen Überhits der Marke „Deutschland“. Auch die überwiegend zurückhaltende und schwermütige Stimmung der Scheibe tut ihr Übriges dazu, das Album vorschnell in eine Schublade stecken zu wollen. „Zeit“ wird jedoch nach meinem Empfinden mit jedem Durchlauf besser, wofür es von mir verdiente 8 von 10 Hellfire-Punkten gibt.


Susanne:

Rammstein ist und bleibt nun mal Rammstein. Meines Erachtens gibt es allerdings mit jedem neuen Album eine Steigerung in Sachen bizarr und exzentrisch, wie die beiden aktuellen Videos zeigen, welche die Songs in immer krasser werdenden Inszenierungen widerspiegeln. Die Texte sind schonungslos, manchmal sogar tiefgründig bis sentimental und sehr oft auch mit dieser gewissen Portion Wahrheit gekonnt gespickt. Der Einfallsreichtum beim Songwriting scheint schier grenzenlos zu sein. Das unverkennbar „rammsteinige“ zieht sich von Anfang bis Ende durch die „Zeit“ und bietet meinen Gehörgängen auch nochmal einen Querschnitt durch die Vorgänger-Alben. „Mein Herz brennt“ auf jeden Fall fürs neue Rammstein Scheibchen.

Von mir gibt es 8 von 10 Hellfire Punkten.


Jörg:

Ich konnte von jeher nichts mit Rammstein anfangen. Die von der Band initiierte NEUE DEUTSCHE HÄRTE ist für mich eine langweilige, ewig (selbst)kopierende Mucke. Dass es inzwischen hunderte von Bands gibt, die den Rammstein Erfolg mit abgreifen wollen… Für mich unverständlich. Auf der anderen Seite scheint es zu funktionieren, denn die Konzerte derer sind immer proppenvoll. Das Hellfire Team allerdings hielt das neue Rammstein Output für wichtig genug, um ein Crossfire zu veranstalten… Nun gut, warum nicht.

Und somit sitze ich nun hier und höre mir die elf Songs von „Zeit“ an. Hätten Rammstein diese Songs als Sammelsurium alter Track auf dieser Scheibe zusammengefasst, es hätte keinen Unterschied gemacht. Für mich sind alle Songs billige Kopien dessen, was man die letzten Jahre und Jahrzehnte veröffentlicht hat. Alle Songs komplett austauschbar. Für mich vollkommen unvollständig, wie viele Leute von Rammstein gezogen werden; gut, die Live-Shows sind ohne Wenn und Aber klasse; die Alben?!? Nö.

Klar werden jetzt viele dagegenhalten, dass die Kopie ihrer selbst bei anderen Bands genauso praktiziert wird: wer das z.B. bei AC/DC, Hammerfall oder Iron Maiden leugnet, wäre ein Heuchler. Aber bei diesen Bands überzeugt mich wenigstens die Mucke. Dass Rammstein mit zum Teil provokanten Texten versuchen, sich von anderen Bands dieser Musikrichtung abzuheben und vermeintlich auf eine intellektuell anspruchsvollere Ebene zu heben, ist für mich reine Augenwischerei.

Ich werde wohl nie meinen Frieden mit Rammstein machen und erst recht nicht mit dem neuen Output „Zeit“.

Für mich verdient das Album kein Pünktchen mehr als 4 von 10 Hellfire Punkten.

 

Gernot:

Ich habe dem neuen Rammstein Album „Zeit“ mit großer Spannung und großen Erwartungen entgegengesehen, und nun habe ich die Scheibe im Player. Die 1994 gegründete Band, welche der neuen deutschen Härte zugerechnet wird, ist schon lange eine feste Größe in der Metal Szene. Sie hat, obwohl sie deutsche Texte hat, auch international Erfolg. Bekannt ist die Truppe um Till Lindemann für extrem provokante Texte, harte, treibende Riffs und eine extreme Liveshow, welche mehr Pyro als Soundtechnik benötigt.

Doch zurück zum aktuellen Album. Der Opener, Armee der Tristen, weiß mich direkt zu überzeugen. Treibende Gitarren, ein ausgleichendes Keyboard, und Lindemanns Stimme, die in den letzten 3 Jahren offensichtlich nicht gelitten hat. Geil. Aber, leider ein dickes aber, fällt für mich das Niveau direkt mit der Singleauskopplung Zeit ab. Es steigt leider auch erst wieder mit der Singleauskopplung Zick Zack wieder auf den, von mir erwarteten Level. Hierbei handelt es sich um einen Song über den Schönheitswahn der heutigen Zeit. Toller Text, geniale Musik. Aber das war es dann auch für mich, weitere Highlights finde ich für mich nicht. Auch die dritte Auskopplung, Angst, weiß mich nicht wirklich zu überzeugen. Textlich provokant wie immer, musikalisch aber nicht das, was ich erwartet habe.

Rammstein muss sich an Songs wie Feuer Frei, Asche Zu Asche, Mutter und Du Hast messen lassen, das hat die Band nur bei zwei Stücken erreicht. Auch die obligatorische Ballade hält einem Vergleich mit Engel nicht ansatzweise stand. Vielleicht ist es einfach der heutigen Zeit geschuldet, Corona Pandemie, Ukraine Krieg, die Musik ist ruhiger, nachdenklicher, mich persönlich hat das Album aber tatsächlich eher enttäuscht. Es wird, bis auf 2 Songs, definitiv nicht bei meinen Sammlungen für lange Fahrten mit dem Auto landen.

Von mir gibt es, aus den genannten Gründen, leider nur 6,5 von 10 Hellfire Punkten!


Marco:

Rammstein sind ja mehr als nur eine Musik machende Band. Ich war schon immer der Meinung, dass sie ohne ihre Shows und die damit verbundenen Provokationen niemals so erfolgreich geworden wären. Und schon gar nicht im Ausland. Aber das ist okay. Da muss man auch erst mal drauf kommen und auch den Mut haben, dass alles so durchzuziehen. Aber allein der Musik haben Rammstein ihren Erfolg nicht zu verdanken. Da muss ich unsrem Chef Jörg auch teilweise Recht geben. Denn auch das neue Album „Zeit“ bietet nicht viel Neues und oft zitiert sich das Sextett immer wieder selbst.

Im Vorfeld gab es ja schon den Titelsong, der Rammstein von ihrer ruhigen, melancholischen Seite zeigt. Wenn man sich näher damit befasst und sich auch das Video dazu ansieht, wird man einen starken Song vorfinden. Ungewöhnlich ist allerdings die Tatsache, dass das neue Album mit drei Songs dieser Sorte beginnt. Kein Überhit wie Deutschland oder Mein Herz brennt, nachdenklich und trist starten Rammstein in ihr achtes Album. Auch Schwarz schlägt in diese Kerbe. Rammstein kehren ihr düsterstes nach außen. Erst Giftig ist ein typischer Rammstein Stampfer mit Tempo und krachenden Riffs.

Aber dennoch ist „Zeit“ das bisher nachdenklichste, dunkelste und ruhigste Album. Und gerade diese ernsten Songs überzeugen. Allerdings hat mich Angst von Anfang an direkt in den Bann gezogen. Und das schon ohne das bedrückende Video. Zu Zick Zack ist ja schon einiges geschrieben worden, bin da auch der Meinung, ohne dass wirklich sehenswerte Video wäre der Song nur halb so viel wert. Dann wäre da noch diese Alt Herren Fantasie Dicke Titten. Mit Schlager und Volksmusik unterlegt, können sich so eine plumpe Nummer auch nur Rammstein erlauben und werden dafür auch noch gefeiert.

Ebenfalls unter der einstigen Klasse der Band würde ich OK und Lügen einordnen. Besonders letztere Nummer mit Autotune auf Lindemann’s Stimme und Popappeal geht ganz schön auf die Nerven.

Sicher haben sich Rammstein bei all ihren Songs auch dieses Mal so einiges gedacht und vieles wird auch sicher missverstanden, dennoch sollte Musik in erster Linie dazu dienen Spaß zu machen. Man sollte doch gewillt sein, die Repeattaste zu drücken und nicht ständig die Skiptaste. Das Bedürfnis habe ich dieses Mal mehr noch als beim unbetitelten Album vor drei Jahren. Obwohl ich das mittlerweile auch mehr zu schätzen weiß.

Trotzdem, auf „Zeit“ fehlen die richtig großen Hits. Lügen, OK und Dicke Titten halte ich sogar für die schwächsten Rammstein Nummern seit Jahren. Dafür gibt es immer wieder Momente die besonders ans letzte Album erinnern. Klar werden auch Rammstein älter und reifer. Die Zeiten, in denen sie mit allem provozierten sind rum. Und wen soll ein Song wie Dicke Titten heute noch schocken? Da schocken eher Nummern wie der Titelsong und Adieu mit den unterschiedlich interpretierbaren Texten. Wie es auch ausgehen wird, spätestens nach der anstehenden Welttournee werden wir wissen wie es mit Rammstein weitergeht. Und das wird sicher nicht ohne großes Aufsehen vonstattengehen.

In der Hoffnung, dass sich das Album in Zukunft noch ein wenig öffnet, vergebe ich heute 7,5 von 10 Hellfire Punkten.

Der Durchschnitt für „Zeit“ beträgt demnach 6,8 von 10 Hellfire Punkten.


Trackliste:

  1. Armee der Tristen
  2. Zeit
  3. Schwarz
  4. Giftig
  5. Zick Zack
  6. OK
  7. Meine Tränen
  8. Angst
  9. Dicke Titten
  10. Lügen
  11. Adieu

Line Up:

Till Lindemann: Gesang
Christoph “Doom” Schneider: Drums
Paul Landers: Gitarre
Richard Kruspe: Gitarre
Oliver Riedel: Bass
Christian “Flake” Lorenz: Keyboards

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