Geschrieben von: Klaus Saalfeld
Band: In Extremo
Album: Kompass zur Sonne
Genre: Mittelalter Rock
Plattenfirma: Vertigo Berlin (Universal Music)
Veröffentlichung: 08.05.2020
Als Mitte der neunziger Jahre aus einer namenlosen reinen Mittelalter-Band und einer Rock-Band, die anfangs noch getrennt voneinander liefen, dank des Einfalls ihres Sängers letztlich eine Formation namens IN EXTREMO entstand, hätte sich wohl niemand träumen lassen, dass daraus in einem Zeitraum von fünfundzwanzig Jahren eine kommerziell erfolgreiche Gruppe werden sollte, deren letzten sechs Studio-Alben allesamt die Top 3 (davon dreimal Platz 1) der deutschen Charts enterten. Vier Jahre nach ihrer letzten Scheibe „Quid Pro Quo“ begeht das Septett ihr Bandjubiläum mit ihrem neuen Album „Kompass zur Sonne“.
Dort machen die Jungs um ihren Frontmann „Das letzte Einhorn“ genau da weiter, wo sie auf ihrem Vorgänger aufgehört haben: mit einer gesunden Mischung aus modernem Rock und mittelalterlichen Klängen. Das vorab veröffentlichte „Troja“ ist der typische flotte In Extremo Einstiegssong, eingängig, sofort mitsingbar, ganz im Stil von Tracks wie „Sieben Köche“ oder „Störtebeker“. Der nachfolgende Titeltrack entpuppt sich als schmissige Hymne, die getreu dem Olli Kahn Motto „Weiter, immer weiter“ Aufbruchsstimmung verbreitet („…komm wir trotzen den Gezeiten“) und bei der neben dem tollen Chorus die Dudelsack-Hookline (die mich irgendwie an „Küss mich“ erinnert) sofort hängen bleibt.
„Lügenpack“ ist nicht minder einprägsam, kommt aber nicht zuletzt dank seiner bissigen Lyrics („Lügen, Lügen, Lügenpack, wir schneiden euch die Zunge ab…“) eine Spur aggressiver rüber. „Gogiya“ bietet dann, wenn man so will die erste kleine Überraschung der Scheibe, Michael Rhein teilt sich die Vocals mit Russkaja Frontmann Georgij Makazaria, der Humppa Faktor ist groß und russische Folklore-Versatzstücke einschl. „Hohoho“ Gesänge dürfen natürlich nicht fehlen. Toller Song mir hohem Party Faktor. Das ebenfalls flotte „Salva Nos“ ist komplett auf Latein gehalten und überzeugt mit starker Melodielinie. Mit „Schenk nochmal ein“ werden dann erstmals ruhige Töne angeschlagen, die melancholische Ballade thematisiert das Abschiednehmen nach dem Tod und beschwört große Emotionen herauf.
„Saigon und Bagdad“ nimmt die Kriegsthematik von „Lieb Vaterland, magst ruhig sein“ wieder auf, im Gegensatz zum „Quid Pro Quo“ Track aber deutlich harscher („Aus Saigon und Bagdad habt ihr nichts gelernt…“, „…zerbombt und überrannt“) und abermals mit einer Kinderstimme versehen, gehört die Nummer für mich inhaltlich zu den interessantesten Songs des Albums. „Narrenschiff“ ist von Sebastian Brants spätmittelalterliche Moralsatire gleichen Namens inspiriert und bietet gewohnte Spielmannskost. „Wer kann segeln ohne Wind“ basiert auf dem schwedischen Kinderlied „Vem Kan Segla“ und wartet wenig überraschend mit Schunkelrhythmik auf. Unerwartet sind da schon die eingestreuten Growls (!) von niemand geringerem als Amon Amarth Fronter Johan Hegg, was den Song etwas sperriger wirken lässt als das übrige Songmaterial. Dennoch eine interessante Nummer mit einer abermals feinen Hookline.
„Reiht euch ein ihr Lumpen“ geht glatt als wilder Bruder von „Sternhagelvoll“ durch und reiht sich in die Riege der feierkompatiblen Sauflieder ein („… wir saufen bis wir doppelt sehen…“). Thematisch schließt sich das abermals in Latein gehaltene „Biersegen“ an, das trotz netter Melodik irgendwie nicht so wirklich zu zünden vermag. „Wintermärchen“ vertont ein Gedicht des Hamburger Schriftstellers Otto Ernst und startet zunächst akustisch im Mittelalter-Stil, ehe die Band im letzten Drittel nochmal richtig aufdreht.
Die Deluxe Edition bietet mit „7 Brüder“ und dem Club-Mix von „Saigon und Bagdad“ zwei weitere Tracks. Erster ist ein In Extremo typischer Mid-Tempo Rocker mit Seemannsflair, der analog zu Songs wie „7 Köche“ oder „Störtebeker“ die „Wir gegen den Rest der Welt“ Thematik aufnimmt („…wir fürchten weder Tod noch Teufel…“) und bei dem man sich fragt, warum das Stück eigentlich nicht auf der regulären Ausgabe“ enthalten ist. Die mit Elektronic-Beats versehene „Saigon und Bagdad“ ist da schon eher verzichtbar und dürfte wohl nur Alles Sammler interessieren.
IN EXTREMO bleiben sich auch auf Album Nummer Dreizehn treu und bieten gewohnt hochwertigen Mittelalter Rock, bei dem sich die eine oder andere bandeigene Anleihe zwar nicht leugnen lässt, dennoch aber zu keiner Zeit als billiger Abklatsch alter Heldentaten rüberkommt. So kann man seinen Geburtstag schonmal feiern. Auf die nächsten fünfundzwanzig Jahre!
Von mir gibt es 8,5 von 10 Hellfire-Punkten
Trackliste:
- Troja
- Kompass zur Sonne
- Lügenpack
- Gogiya (feat. Russkaja)
- Salva Nos
- Schenk nochmal ein
- Saigon und Bagdad
- Narrenschiff
- Wer kann segeln ohne Wind (feat. Johan Hegg)
- Reiht euch ein ihr Lumpen
- Biersegen12. Wintermärchen
- 7 Brüder (Bonus Track Deluxe Edition)
- Saigon und Bagdad Club Mix (Bonus Track Deluxe Edition)
Line Up:
Micha „Das Letzte Einhorn“ Rhein – Gesang, Cister
Sebastian „Van Lange“ Lange – Gitarren, Cister
Kay „Die Lutter“ Lutter – Bass, Trumscheit, Pauke
André „Dr. Pymonte“ Strugala – Harfe, Marktsackpfeife
Marco „Flex Der Biegsame“ Zorzytzky – Marktsackpfeife, Uilleann Pipes, Schalmei, Drehleier
Boris „Yellow“ Pfeiffer – Marktsackpfeife, Schalmei, Nyckelharpa
Florian „Specki T.D.“ Speckardt – Schlagzeug, Percussion
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