Geschrieben von: Klaus Saalfeld
Band: In Extremo
Album: Wolkenschieber
Genre: Mittelalter Rock
Plattenfirma: Vertigo Berlin (Universal Music)
Veröffentlichung: 13.09.2024
Für nicht wenige Leute hat die Zahl Dreizehn eine besondere Bedeutung: für die einen ist sie eine Glückszahl, in vielen Kulturen wird sie hingegen als Unglückszahl gefürchtet (auch „Triskaidekaphobie“ genannt). In wie weit die Mittelalter Rocker IN EXTREMO diese Zahl fürchten (oder auch nicht), ist nicht überliefert, aber allein die Tatsache, dass deren neue Scheibe „Wolkenschieber“ bereits Longplayer Nummer dreizehn ist, kann so schlecht nicht sein, denn schließlich können nicht gerade viele Bands auf eine solch vielzählige Diskographie blicken.
Und die Erwartungen an das neue Album wurden vor allem durch die beiden vorab veröffentlichten Stücke „Wolkenschieber“ sowie dem quasi mit einem Vierteljahrhundert Verspätung nachgeschobenen Titeltrack des Album Klassikers „Weckt die Toten!“ zusätzlich geschürt, denn dass die beiden Nummern von den Fans begeistert aufgenommen wurden, davon konnte ich mich beim diesjährigen Wacken-Open-Air höchstselbst überzeugen. „Wolkenschieber“ enthält eine schnell ins Blut gehende Mixtur aus packenden Party- und Trinkliedern, kämpferischen Freiheitssongs und berührenden Balladen, mit der IN EXTREMO nun das nächste Kapitel in ihrem Schaffen aufschlagen.
Der gleichnamige Eröffnungstrack ist nicht nur eine quasi-Hommage an den Berliner Apotheker Schultze, der 1874 ein hochprozentiges, angebliches Allzweck-Heilmittel erfand, sondern reiht sich in die Riege der feucht-fröhlichen Party Kracher der Band ein. Auch das bereits erwähnte „Weckt die Toten“, auf dem sich Micha Rhein ein Duett mit Rauhbein-Frontmann Henry M.Rauhbein liefert und auf dem sich die Band selbst ein wenig abfeiert, hält das Stimmungslevel am Anschlag. Das fetzige „Katzengold“ hingegen widmet sich auf teils direkte, teils verspielte Art gegen (Zitat Kay Lutter) „alle Hetzer, Spalter, Verschwörungsanhänger, Populisten und sonstige homophoben Idioten“. Gewissermaßen der Ton-gewordene Mittelfinger!
Mit dem stimmungsvollen „Ólafur“ folgt der erste und einzige rein-nicht-deutschsprachige Song, hier bedienen sich IN EXTREMO einer auf Isländisch gesungenen Skalden-Dichtung aus dem 8.Jahrhundert, das vom Aufbau her an ähnlich gelagerte Stücke wie „Pikse Palve“ erinnert. „Unser Lied“ wandelt mit einem Mix aus dynamischem Mittelalter-Rocker und sofort mitgrölbarem Refrain auf den Spuren großer Stadion-Hymnen, unterstützt wird die Band dabei von Santiano Sänger Björn Both. Auf „Feine Seele“ schlagen die Berliner erstmals gefühlvolle, balladeske Töne an, bei dem auf der anstehenden Tour mit Sicherheit sämtliche Smartphones im Rhythmus geschwenkt werden; zudem ist mit Oliver „SaTyr“ Pade von Faun an der Nyckelharpa ein weiterer langjähriger Wegbegleiter der Band zu hören.
Auch wenn „Blutmond“ mit Ausnahme der Mond-Thematik ansonsten keinerlei inhaltliche oder musikalische Bezüge zu „Vollmond“ aufweist, fühle ich mich bei dieser eingängigen Nummer irgendwie an den altbewährten Track von „Sünder ohne Zügel“ (2001) erinnert. Während „Des Wahnsinns Fette Beute“ nichts anderes ist als eine getragene Hymne mit Ohrwurm-Potential (und Joachim Witt als Gastsänger), verknüpfen IN EXTREMO bei „Geschenkt ist geschenkt“ Mittelalter-Rock mit leichter Punk-Attitüde, lyrisch werden wie einst bei „Frei zu sein“ diverse Lebensweisheiten rezitiert.
Joey und Jimmy Kelly veredeln das auf die Entwicklung der Band zurückblickende „Aus Leben gemacht“, das kraftvolle „Komm lass die Welt sich weiterdrehen“ besingt den Wunsch nach Veränderung im Leben und mit „Terra Mater“ vollendet ein episch-ergreifender Track auf besinnlich-feierliche Art das (reguläre) Album. Die Deluxe Edition hält zudem zwei zusätzliche Stücke parat: „Schweine“ ist ein fetter Midtempo Rocker, der mit denjenigen abrechnet, die rechter Hetze hinterherlaufen („wer glaubt was Besseres zu sein, fällt auf jeden Scheiß hinein“ – „… ein dickes Schwein auf braunem Grund…“), aber damit letztlich alleine stehen. Den Schlusspunkt setzt „Das Totenschiff“, ein nachdenklich stimmender Track, wonach der Protagonist lieber in die Hölle will als in den Himmel aufzufahren. Während ich mich bei „Schweine“ ernsthaft Frage, warum die Nummer nicht auf dem regulären Album enthalten ist, fällt Letztgenannter eher in die Kategorie „ganz okay“ und wäre für mich nur bedingt ein Kaufanreiz.
Dennoch gehört „Wolkenschieber“ zweifellos zu den stärksten Alben der IN EXTREMO-Diskographie und sollte für alle Anhänger dieser Spielart (und der Band sowieso) ein Pflicht-Kauf sein!
Von mir gibt es 9 von 10 Hellfire Punkten.
Tracklist:
1. Wolkenschieber
2. Weckt die Toten
3. Katzengold
4. Ólafur
5. Unser Lied
6. Feine Seele
7. Blutmond
8. Des Wahnsinns Fette Beute
9. Geschenkt ist Geschenkt
10. Aus Leben gemacht
11. Komm lass die Welt sich weiterdrehen
12. Terra Mater
Bonus Tracks Deluxe Edition:
13. Schweine
14. Das Totenschiff
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