Geschrieben von Oliver Heberling / Foto by gräffiX by Marco G.
Schlachthof Wiesbaden // 24.01.2019. Gerade ging die seit 2005 jährlich stattfindende Persistence Tour in die 15. Runde und unser Fotograf Marco und ich waren nun auch zum ersten Mal dabei. Entgegen der Außenwahrnehmung als reine Hardcore-Tour gestaltete sich der Abend mit sieben Bands aus unterschiedlichen Stilrichtungen doch unerwartet abwechslungsreich. Der gemeinsame Nenner aller teilnehmenden Acts lässt sich darin finden, dass sie alle nach Vorne gehen, Party machen und ihrem Publikum gehörigst auf die Zwölf geben. Im Gegensatz zu Headliner-Konzerten, wo sich das Publikum größtenteils wegen einer Band einfindet, gestaltete sich das Interesse des Abends (an Band-Shirts unschwer erkennbar) deutlich diverser. So kam eine gemeinsame Party auf, die sich am Ende des Abends auch noch auf der Bühne abzeichnete.
Der Opener, Take Offense aus Kalifornien, hatte mit dem langen Line-Up des Abends zu kämpfen. Als wir zum offiziellen Einlass um 17.30 Uhr den Schlachthof betraten, war außer uns gefühlt niemand anwesend. Die Bühnenzeit von 18 Uhr ist unter der Woche halt doch ein hartes Brot. So spielten Take Offense vor vielleicht 100-150 Leuten. Der Blick in die sichtlich leere Halle hielt sie jedoch nicht davon ab ihren mit metallastigen Gitarrenmelodien versetzten Hardcore-Punk sichtlich abgehfreudig umzusetzen. Das führte dazu, dass ihr Sänger bereits beim ersten Song sein Mikrofon zerstörte und am Background-Mikro seines Gitarristen weitersingen musste, bis für Ersatz gesorgt war.
Auf Take Offense folgte meine persönliche Neuentdeckung des Abends. Siberian Meat Grinder spielen einen Crossover, der vornehmlich auf Thrash Metal aufbaut. Mit schnellen Gitarren und corelastigen Breakdowns brachten sie die inzwischen erheblich besser gefüllte Halle in Wallung. Der Sänger mit Schweißermaske und das Maskottchen „Bear Tsar“, ein gekrönter sibirischer Braunbär, der beim letzten Lied die Bühne betrat, heizten dem Publikum gehörigst ein. SMG werden sich in meiner Playlist definitiv etablieren, schade, dass sie keine CDs mitgebracht haben.
Booze & Glory betraten im Anschluss die Bühne, um für den gröbsten Stilbruch des Abends zu sorgen. Ihr Londoner Oi!-Punk stach aus dem musikalischen Konzept am deutlichsten heraus, was der Stimmung keinen Abbruch tat. Ihren an Lion´s Law- oder eben Booze & Glory-Shirts unschwer erkennbaren Fans verschafften sie wohl die Party des Abends, während die eingängigen Rhythmen und Singalongs auch dem unbedarften Rest (mir eingeschlossen) einen kurzweiligen Auftritt verschafften, auch wenn die Crowd bei „Only fools get caught“ nur in wenigen Bereichen textsicher genug war, um der Aufforderung von Sänger Mark nachzukommen, einen Wechselgesang anzustimmen.
Bei Walls of Jericho verhielt es sich dann wie so oft bei Metalcore Bands: Die Stimmung steigt, die Soundqualität sinkt. Aber darum geht es bei einem WoJ-Konzert wohl auch nur den Wenigsten. Die Energie, die sich von der Bühne auf das Publikum übertrug war immens. So wurde Circle Pit auf Circle Pit gefordert, Sängerin Candace Kucsulain rannte und sprang wild über die Bühne und ihre Bandkollegen taten es ihr nach. Dass der brummkreiselnde Bassist Aaron Ruby überhaupt noch eine Saite trifft, geschweige denn die Richtige, reicht dabei an Sound aus. Aus einem der diversen Pits kam mir bereits zur Hälfte des Auftritts schon der erste mit, ausgelöst durch einen Cut unterm Auge, blutüberströmtem Gesicht entgegen. Der Abgehfaktor bei WoJ war enorm, Respekt daher für den Rollstuhlfahrer, der sich trotzdem bis ganz vorne an die Bühne schieben ließ.
Unter dieser überragenden Stimmung bei WoJ hatten dann, zumindest in meinem Fall, Municipal Waste zu leiden. Ihr Auftritt war gut, ihr punkiger Thrashcore macht Laune, allerdings musste ich mir einen kurzen Durchhänger erlauben. So ein sechs-stündiger Konzertabend ist echt lang. Dem Rest der Crowd schien es jedoch nicht so zu gehen. Besonders bei „Born to party“ wurde fleißig mitgegröhlt: „Municipal Waste is gonna fuck you up“!
Nachdem Municipal Waste die Bühne räumten war es an der Zeit für Ignite, den ersten Headliner des Abends mit entsprechend verlängerter Spielzeit. Ignite hab ich auf dem Wörrstädter NOAF 2017 für mich entdeckt, wo sie ebenfalls Co-Headliner waren. Die Melodic Hardcore Punk Band aus Orange County ist, neben Booze & Glory, die Band des Abends, die am wenigsten auf Geballer ausgerichtet ist. Zoltán Téglás ist auch der mit Abstand beste Klarsänger des Abends, er klingt für mich wie ein besserer Tim McIlrath. Mit vornehmlich Songs ihres Albums „Our darkest days“ bewaffnet wurde die Ausrichtung nochmal richtig punkig, mit „Live for better days“ fand auch die erste Ballade Einzug in den Abend. Außerdem nutzten Ignite, wie so oft, die Aufmerksamkeit des Publikums, um auf gesellschaftliche Missstände aufmerksam zu machen. Neben einer Ansprache gegen Donald J. Trump baten sie auch Mitarbeiter von Sea Shepherd, die auch einen Stand im Schlachthof aufgebaut hatten, auf die Bühne, um etwas über ihre Meeresschutzorganisation zu erzählen. Dabei zeigten sich die Zwei sichtlich nervös und hielten nach anfänglichen Mikroproblemen zuerst ihre Fahne verkehrt herum und dankten (versehentlich?) allen Bands außer Municipal Waste für ihr Engagement. Ihrer Message tut die Nervosität jedoch keinen Abbruch.
Als letzte Band des Abends kamen dann die von mir am wenigsten vorfreudig erwarteten Sick of it all auf die Bühne. Ich werde mit dieser Band einfach nicht warm. Für mich sind sie eine dieser Genre-Vorreiter-Bands, die mittlerweile von ihren Mitstreitern qualitativ überholt wurden. An dieser Meinung konnten sie auch an diesem Abend nichts ändern, obwohl ich sie mir sechs Bands lang schön trinken konnte 😉 Sick of it all stellten jedoch unter Beweis, dass nicht alle so denken wie ich. Die Menge tobte, die Band tobte (allen voran Lou und Pete Koller) und auch die anderen Bands der Tour zeigten mit einer Wall of Death auf der Bühne, dass ihnen einerseits die Persistence Tour, als auch die Musik ihres Headliners riesigen Spaß macht. Unterm Strich steht daher ein Abend, an dem wohl kaum einer jede der sieben Bands kennt und mag, aber für runtergebrochen gerade einmal fünf Euro pro Auftritt einen vielseitigen Einblick bekommt. Die Mischung aus Oi!, Thrash, Punk, Hard- und Metalcore ermöglichte einem feierwütigen Publikum einen abwechslungsreichen und insgesamt kurzweiligen Abend. In Zukunft werde ich die Persistence Tour definitiv weiter im Blick behalten.
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