Geschrieben von: Klaus Saalfeld
Band: Rammstein
Album: Rammstein
Genre: NDH
Plattenfirma: Rammstein (Universal Music)
Veröffentlichung: 17.05.2019
„Nun, liebe Kinder, gebt fein Acht, ich bin die Stimme aus dem Kissen, ich hab‘ euch etwas mitgebracht“… und das ist nicht weniger als eines der am spannendsten erwarteten Alben der letzen Jahre. RAMMSTEIN melden sich zurück, knapp zehn Jahre nach „Liebe Ist Für Alle Da“, gibt es endlich neues Futter für die zahlreichen Fans (und sehr zum Leidwesen der wohl nicht geringen Anzahl an Hatern), sieht man einmal von den Tracks „Mein Land“ (2011, auf „Made In Germany“), „Vergiss Uns Nicht“ (2011, B-Seite von „Mein Land“), „Gib Mir Deine Augen“ (2012, B-Seite von „Mein Herz Brennt“) sowie dem in den letzten drei Jahren live dargebotenen „Ramm4“ (leider nicht auf „Rammstein“ enthalten) ab.
Wer über so viele Jahre kein neues Album herausbringt, der läuft normalerweise schnell Gefahr in Vergessenheit zu geraten. Nicht so das Sextett, dass nicht zuletzt dank seiner fortlaufenden Bühnenpräsenz gepaart mit opulenten Shows nie so wirklich weg war. Und sollte irgendjemand dem Irrglauben verfallen sein, RAMMSTEIN seien nicht mehr relevant, der wurde spätestens mir der Veröffentlichung des knapp 30 Sekunden langen Werbetrailers zur neuen Single „Deutschland“ eines besseren belehrt. Die Band legte der breiten Masse einen Köder aus – in Form von Bandmitgliedern in KZ-Kleidung am Galgen – und diese schnappte bereitwillig zu. Der Aufschrei war gewaltig, ungeachtet der Tatsache, dass die Sequenz selbst im eigentlichen Video (einem Abriss aus 2000 Jahren deutscher Geschichte) nur eine eher kleine Rolle spielt und durch die dazugehörigen Lyrics sowie der Besetzung der Germania mit der afrodeutschen Schauspielerin Ruby Commey konterkariert wird, die provokant geplante Aufmerksamkeit war ihnen jedenfalls sicher. Und Provokation als Stilmittel war ja schon immer ein Markenzeichen der Band.
Aber zurück zur Musik, das schlicht „Rammstein“ betitelte siebte Album wird dann auch mit besagter Nummer Eins Single eröffnet, eine irgendwo zwischen bombastischem Stadiorocker und Tanzflächenfüller angesiedelte Hymne, in der Till Lindemann über das ambivalente Verhältnis der Band zur deutschen Nationalität singt. Und falls irgendeine braune Hohlbirne bei der Textzeile „überraschen, überfallen, Deutschland, Deutschland über allen“ schon freudige Erregung im rechten Arm verspüren sollte, dürfte ihm dies spätestens bei den Textpassagen „Deutschland, will dich lieben und verdammen…“, „Deutschland, meine Liebe kann ich dir nicht geben“ schnell wieder vergehen.
„Radio“ pendelt zwischen klangliche Extremen, auf der einen Seite ziemlich retro anmutende Synthie Klänge, wie man sie aus grauer Vorzeit von Kraftwerk her kennt, auf der anderen Seite stakkato-artige Riffs, die ein wenig an das Debüt Herzeleid“ erinnern. Inhaltlich geht es um die Gängelung zu DDR-Zeiten, in der u.a. West-Radio verpönt war („jedes Liedgut war verboten, so gefährlich fremde Noten“), von vielen Bürgern dennoch heimlich gehört wurde und so etwas wie ein Stück Freiheit darstellte („So höre ich, was ich nicht seh‘, stille heimlich fernes Weh“). Trotz eingängigem Chorus benötigt der Song einige Anläufe, bis er so richtig zündet, erweist sich dann aber als echter Ohrwurm.
„Zeig Dich“ nimmt das bereits von „Halleluja“ bekannte Thema des Kindesmissbrauchs durch Teile des Klerus wieder auf („ausversehen sich an Kindern vergehen…“), wie schon bei etlichen anderen Songs knallt Till einem zahlreiche Alliterationen um die Ohren (Verfolgen, Verdammen, Verlangen, Versuchung, Verdammnis…) und bellt ein aggressives „Zeig Dich“, der Refrain erinnert von der Melodieführung ein wenig an den Titeltrack des letzten Albums. Sakrale Chöre untermalen diese Uptempo Nummer, die musikalisch zu den härteren Songs gehört und für mich ein Highlight des Albums darstellt.
Beim Titel des nachfolgenden Stücks „Ausländer“ vermutet man spontan eine weitere Provokation, doch weit gefehlt, der Ausländer ist in diesem Fall das lyrische Ich, das sich – salopp formuliert – durch die Betten dieser Welt vögelt. Musikalisch klingt das ganze eher nach 90er Jahre Eurodance, was dem Song in Verbindung mit seinem Text („Ciao Ragazza, take a chance on me“…) eine gewisse Komik verleiht. Dagegen wirkt „Pussy“ im Nachhinein wie ein beinharter Rocksong. Die Nummer ist recht gewöhnungsbedürftig und benötigt einige Anläufe um zu zünden.
Auch „Sex“ sorgt für ein leichtes Schmunzeln, denn zu den vorhersehbaren Lyrics („Komm her, Du willst es doch auch“, „Ich schau‘ dir tiefer ins Geschlecht, Leib und Brüste gut gebaut“) kommt ein fast schon zum Schunkeln animierender Chorus („wir leben nur einmal, wir lieben das Leben, wir lieben die Liebe“), wie ihn kein Schlagerfutzi besser hinbekommen würde. Wie zuvor „Ausländer“ braucht dieser Track einige Zeit, um zu überzeugen.
Dies trifft auf „Puppe“ nicht zu, der ruhig beginnende und sich langsam steigernde Song erzählt die Geschichte eines Jungen, der Tag für Tag durch das Schlüsselloch seine sich als Prostituierte verdingende Schwester beobachtet und dabei ernsthafte psychische Schäden erleidet. Till Lindemann singt im Refrain wie ein Irrer in bester Klaus Kinski Manier („Und dann beiß ich der Puppe den Kopf ab…“) , wobei die „damm damm“ Background Gesänge schon ein wenig skurril wirken. Ohne Zweifel die abgefahrenste Nummer auf „Rammstein“ und einfach nur genial.
Die beiden nachfolgenden „Was Ich Liebe“ und „Diamant“ behandeln in Rammstein typischer Art und Weise das Thema Hass-Liebe. Erstgenannter kommt relativ schleppend und mit einer leichten Gothic Note daher, bleibt aber auch nach mehrmaligem Hören eher unspektakulär. „Diamant“ geht klanglich in Richtung „Ein Lied“ (von „Rosenrot“), eine nur zweieinhalb Minuten dauernde Akustik Nummer, die womöglich am Ende der Scheibe besser zur Geltung kommen würde. So bleibt unterm Strich eine Herz-Schmerz-Nummer, die allerdings „Ohne Dich“ nicht das Wasser reichen kann.
„Weit weg“ ruft bei mir aufgrund seiner Retro-Synthie Klänge Erinnerungen an längst vergessene Kinderserien hervor (Captain Future), ansonsten erweist sich diese dem Thema Voyeurismus gewidmete, getragene Gothic Nummer als äußerst eingängig.
Mit „Tattoo“ lassen Rammstein dann endlich wieder die Schwarte krachen, Riffs und Rhythmik erinnern an die ersten beiden Alben, der Chorus ist eingängig und erinnert ein wenig an „Hallelujah“. Till Lindemann drischt einige irgendwie bekannte Phrasen („Wer schön sein muss, der will auch leiden und auch der Tod kann uns nicht scheiden“) und geht ansonsten lyrisch im wahrsten Sinne des Wortes unter die Haut.
Zu guter letzt folgt mit „Hallomann“ ein würdiger Abschluss des Albums, wobei sich dies vor allem auf den Inhalt bezieht. Till Lindemann singt aus Sicht eines Kinderschänders, der ein kleines Mädchen überreden will, bei ihm einzusteigen („Steig einfach ein, ich nehm‘ dich mit und kaufe dir Muscheln mit Pommes Frites“), ansonsten sind die Zeilen harmlos gehalten („Sing für mich, komm, sing, Perle auf dem Ring, Tanz für mich und dann kommt zu dir der Hallomann“) und nicht so krass wie ich es bei Rammstein erwartet hätte (Und nur zur Klarstellung: meine Begeisterung bezieht sich rein auf die textliche Herangehensweise an dieses Thema, damit will ich solche Verbrechen in keinster Weise gutheissen). Der Song selbst ist eher schleppend, mit einem eingängigen Refrain, den man ohne weiteres sofort mitsingen könnte, einige Keyboard Sequenzen erinnern an „Mein Teil“.
RAMMSTEIN haben es geschafft, trotz oder gerade wegen einiger Reminiszenzen an die eigene Vergangenheit ein durchaus abwechslungsreiches Album abzuliefern, dass ungeachtet einiger weniger kleiner Schwächen die Erwartungen erfüllt haben dürfte, auch wenn hier kein neues Meisterwerk a là „Herzeleid“ oder „Mutter“ erschaffen wurde. Ich denke, Rammstein Fans werden dennoch auf ihre Kosten kommen, wer die Band bislang abgelehnt hat, wird dies auch weiterhin tun. Ob ich „Rammstein“ zum Jahresende als Anwärter auf das Album des Jahres sehen würde, wird die Zeit zeigen.
Von mir gibt es 8,5 von 10 Hellfire-Punkten!
Trackliste:
- DEUTSCHLAND
- RADIO
- ZEIG DICH
- AUSLÄNDER
- SEX
- PUPPE
- WAS ICH LIEBE
- DIAMANT
- WEIT WEG
- TATTOO
- HALLOMANN
Line Up:
Till Lindemann: Gesang
Christoph „Doom“ Schneider: Drums
Paul Landers: Gitarre
Richard Kruspe: Gitarre
Oliver Riedel: Bass
Christian „Flake“ Lorenz: Keyboards
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