Reach The Surface – No Return

© Reach The Surface

Geschrieben von Katja Maeting
Band: Reach The Surface
Album: No Return
Genre: Metalcore
Plattenfirma: unsigned
Veröffentlichung: 17. Februar 2019

Wenn man jemanden kennenlernt, dann fragt man sich ja oft, wie derjenige wohl früher so war. Zumindest wenn man denjenigen mag. Mein erstes (rein musikalisches) Date mit Reach The Surface bestand aus ihrer Single „If I Could“, über die ich irgendwo gestolpert war und ja, danach mochte ich die Jungs definitiv. Als nächstes stieß ich auf die 2017er Single „No Return“, die stilistisch ähnlich angelegt war und den Zuneigungsfaktor noch stark erhöhte – und dann entdeckte ich die EP „Felon“. Definitiv keine Leiche im Keller der Band, aber irgendwie hatte ich plötzlich extremen Erklärungsbedarf.

Extrem bzw. extremer ist auch das richtige Stichwort, um die musikalischen Wurzeln von Reach The Surface zu beschreiben. Denn bei ihrer Gründung 2012 hatten sie sich einen wesentlich härteren und auch sperrigeren Sound auf die Fahnen geschrieben. Entsprechend fiel auch die 2015 erschienene EP aus, nach der ich es Sänger Phil schon fast nicht zugetraut hätte, dass er wirklich der Urheber der cleanen und dabei manchmal auch sanften Töne auf dem neuen Album ist. Aber Reach The Surface haben einen Frontmann, der die komplette Bandbreite des Gesangs hochwertig bespielen kann und problemlos weichen Klargesang mit kraftvollen Shouts kombiniert und ebenso locker sowohl Screams als auch Growls ins Mikro jagt. Und auch musikalisch haben sich die Jungs ein paar nette Facetten aus ihrer Vergangenheit bewahrt, die sich hervorragend als Diamantsplitter im neuen Soundgefüge der Band hervorheben. 

Davon kann man sich direkt bei „Demons Of My Past“ überzeugen, welches auf den bereits seit langem bekannten Titeltrack und Opener folgt und einen gänzlich anderen Charakter hat. In den Strophen eine vom Rhythmus gejagte Hochtempo-Nummer mit leichter Djent-Orientierung und eine Verbeugung an die Wurzeln der Band, die hier schöne Erinnerungen von früher stimmig mit ihren neuen Ideen vereint. Auflockerung erfährt diese druckvolle Klangwucht durch einen melodischen Chorus, der aber durch die neben den Cleanvocals dominierenden Shouts in so engen Bahnen gehalten wird, dass hier keinerlei Zuckerwatte-Effekt aufkommt. Bei diesem Track werden Fans der ersten Stunde leuchtende Augen bekommen, denn Frontmann Phil kehrt zu den gesanglichen Ursprüngen zurück und shouted, growlt und keift voller Wut und Verzweiflung über weite Strecken der Spielzeit.

„Covered By Snow“ orientiert sich hingegen deutlich in die Spielrichtung der beiden Vorab-Singles, ist sogar noch etwas weicher und balladiger angelegt. Schon ab der ersten Sekunde schiebt einem die Gitarre eine unwiderstehliche Hookline ins Ohr, die sich als roter Faden durch den Song zieht, umwoben von einer locker-fließenden Rhythmus-Struktur, in welcher die eher im Hintergrund eingesetzten Shouts als zusätzliche Stützen wirken, um dem Klargesang eine tragende Grundlage zu bieten. „Disconnect“ ist ein von Streichinstrumenten geprägtes, instrumentales Interlude, welches die erstaunliche Leistung vollbringt, einen gleichmäßigen Spannungsbogen aufrechtzuerhalten und gleichzeitig die Pforte zu den nächsten drei Tracks bildet, die zusammengenommen nochmal die musikalische Essenz des Vierergespanns abbilden.

„Dear Friend“ erinnert dabei stellenweise an Architects, die von den Jungs auch als Einfluss auf ihre Musik angesehen werden. Ein Track, gesanglich auf dem schmalen Grad zwischen Klargesang und Shouts balancierend, musikalisch dominiert von auffälligen Riff-Motiven und einer herausgehobenen Melodielinie.“Tired To Fight“ überrascht in der Eröffnung mit einem grungig angehauchten, leicht sprödem Alternative-Riffing, welches im weiteren Verlauf melodisch aufgefüllter immer wieder aufgegriffen wird. Dabei wechseln entschleunigte, musikalisch kompakt gebaute Strophen mit einem catchy ausgestalteten, melodiegeladenen Refrain, der zusätzlich mit der Wechselwirkung aus cleanen und geshouteten Textzeilen spielt und zusammen mit der in fragilem Klargesang gehaltenen Überleitung emotionale Spitzen setzt. 

Den Abschluss bildet „Misled“, welches einen weichen, aber stabilen Soundteppich webt, auf dem die Gitarre, mal hervorgehoben und mal in den Hintergrund gerückt, raumgreifende melodische Figuren zeichnet, während die überwiegend cleanen Vocals hier das Wirkprinzip umkehren und durchs pointierte Wechseln in den Shout-Bereich Härtespitzen auf die harmonischen, instrumentalen Tonfolgen setzen. Das belastbare aber dezente Rhythmusgeflecht wird dabei stimmig von Synthis aufgefüllt. 

Wer sich bei Bands wie We Came As Romans, Villain Of The Story oder, wenns örtlich etwas näher sein soll, Walking Beyond wohlfühlt oder wem zumindest die älteren Songs von Annisokay nicht unsympathisch waren, der kann hier bedenkenlos zugreifen. Die Jungs aus Wittenberg haben ihren Stil gewandelt ohne sich zu verleugnen und das diese Veränderung nicht künstlich erzwungen war, hört man der Musik von Reach The Surface in jedem Song an. Diese facettenreiche musikalische Vielfalt gibt ihnen die Möglichkeit, ihre Fähigkeiten im richtigen Licht zu präsentieren und frei von jeglichen Beschränkungen zu agieren. So macht Musik Spaß – sowohl dem Erschaffer als auch dem Zuhörer.  

Von mir gibt es 9 von 10 Hellfire-Punkten.

Trackliste:
01. No Return
02. Demons Of My Past
03. Covered By Snow
04. If I Could
05. Leave Me
06. Tell Me I’m Wrong
07. Disconnect
08. Dear Friend
09. Tired To Fight
10. Misled

Line-up:
Philipp Rabe – Gesang
Hendrik Vestewig – Gitarre
Lukas Woitschig – Bass
Johannes Fahrenholz – Drums

Weitere Infos:
Reach The Surface bei Facebook
Website von Reach The Surface
Reach The Surface bei Instagram
Interview mit Reach The Surface

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