-English version below-
Mit dem Hellfire Quick5 Interview versuchen wir dem Leser möglichst interessante Infos aus den Musikern rauszukitzeln, ohne dass sie sich seitenlangen Fragen/Antworten hingeben müssen.
Wir vom Hellfire bemühen uns, (mehr oder weniger) kurz und prägnant im Rahmen von 5 Fragen zu agieren (manchmal kann eine Frage auch gedoppelt oder getrippelt sein); dem Musiker obliegt es, nach seinem Gutdünken zu antworten: kurz und knapp bis hin zu ausschweifend und umfangreich.
Diesmal sprachen wir mit Cam Mesmer (Vocals/Bass) von SPELL:
HF: Zuallererst herzlichen Glückwunsch zur erfolgreichen Veröffentlichung von Opulent Decay! Das Album wurde in der einschlägigen Presse überaus positiv rezipiert. Welche Unterschiede und Entwicklungen gegenüber dem Vorgänger For None And All würdet ihr selbst beschreiben?
CM: Hey, vielen Dank, dass ihr euch die Zeit für uns genommen habt. Der Hauptunterschied besteht meines Erachtens darin, dass unsere Einflüsse stetig wachsen. Wir lieben alle Arten von Musik und wir suchen nach Inspiration, wo immer wir können. Auch unser Arbeitsprozess war diesmal anders: Als wir For None and All schrieben, lebten wir alle zusammen in einem Landhaus und probten jeden Tag. Für Opulent Decay wohnten wir nicht mehr zusammen, aber wir nahmen Demos von jedem Song auf und schickten sie hin und her, um unsere Parts auszuarbeiten. Obwohl wir weniger geprobt haben, verbrachten wir mehr Zeit damit, über die Details jedes Liedes nachzudenken. Wir sind sehr stolz auf das Ergebnis.
HF: Im Interview mit dem Deaf Forever beschriebst du den Kontrast zwischen Opulenz und Verfall, die Gewöhnung an Luxus und die Stärken die man aus Einschränkungen für sich ziehen kann als umfassendes Thema eures neuen Werks. Die benötigte Balance aus beidem droht derzeit an mehreren Punkten aus dem Gleichgewicht zu geraten. Auf welche Stärken sollte sich die globale Gemeinschaft eurer Meinung nach besinnen und wie kann man gestärkt aus der jetzigen Krise hervorgehen, um anschließend andere Probleme besser anzupacken als bisher?
CM: Als ich kürzlich mit Al Lester (meinem Bruder, dem Schlagzeuger von SPELL) über die Dichotomie von Opulenz/Verfall diskutierte, wies er darauf hin, dass der Kontrast zwischen diesen beiden scheinbaren Gegensätzen auch zu einer eigenen, einzigartigen dritten Sache werden kann: dem Zustand des Verfalls. Wenn der Verfall so weit fortgeschritten ist, dass er zu einer neuen und “unbeabsichtigten” Ästhetik wird – einer flüchtigen, vorübergehenden Identität, die nicht das ist, was sie sein sollte und nicht das, was sie schließlich sein wird, sondern das, was sie jetzt sein will. Wie ein leeres Gebäude oder eine erodierende Klippe oder ein sich zersetzender Körper; dieser kurze Zustand, wenn ein Ding am extravagantesten ist, mit den meisten Farben, den größten sensorischen Eigenschaften und dadurch am ausdrucksstärksten ist! Wenn ein Ort noch das Gefühl von Ehrfurcht und Erhabenheit bewahrt, das er ursprünglich haben sollte, aber auch die Gefühle von Verlust, Leere und Furcht, die mit seiner Zersetzung einhergehen – und jedes dieser Gefühle wird durch das andere verstärkt. Das ist der romantische Reiz des “opulenten Verfalls” und vielleicht auch der Zustand unserer Welt in diesem Moment: Die Systeme und Strukturen unserer früheren Lebensweisen sind noch immer vorhanden, aber sie sind alle in Frage gestellt und beginnen nach Monaten der Vernachlässigung zu verrotten. Wenn ich jetzt nach draußen gehe, sehe ich fast leere Straßen und Autobahnen, Wolkenkratzer, die größtenteils verlassen sind, und verschlossene Geschäfte, wohin ich auch schaue. Jeder kann nur raten, ob unsere Welt wieder so wird, wie sie war, oder wie die “neue Normalität” aussehen könnte. Obwohl mich das unermessliche Leid, das auf der ganzen Welt geschieht, betrübt, hoffe ich, dass wir diese Gelegenheit nutzen können, um unsere Machtstrukturen neu zu ordnen und uns wieder auf unsere Familien, Freunde und Gemeinschaften zu konzentrieren, anstatt uns für die Profite von Milliardären zu Tode zu arbeiten. Ich hoffe, dass wir, wenn wir Mitgefühl zeigen, um den Menschen in unserer unmittelbaren Umgebung zu helfen und wenn wir jede zusätzliche Zeit, die wir haben, nutzen, um uns von dem unerbittlichen Druck unseres Lebens zu erholen und Kunst und Ausdrucksformen auf jede nur erdenkliche Art und Weise zu schaffen, dass wir dann vielleicht in einer besseren Welt als zuvor leben können. Ja, das ist idealistisch, aber wenn man keine Zeit für Idealismus hat, was ist dann der Sinn des Lebens?
HF: Zurück zur Musik: Ich teile eure Meinung, dass Heavy Rock, wie ihr ihn macht, als Gesamtwerk betrachtet und auch genossen werden sollte. Wie schafft ihr es, ein so fließendes Album wie aus einem Guss zu produzieren? Vielleicht könnt ihr uns ein paar Einblicke in den Entstehungsprozess eines SPELL-Albums geben.
CM: Na klar! Für uns ist dieses Gefühl der Ganzheitlichkeit innerhalb eines Albums sehr wichtig. Ich liebe es, mich hinzusetzen und ein Album als Ganzes zu hören. Das ist auch das, was wir anstreben: ein ganzes Album, nicht nur eine Reihe von Singles. Um dies zu erreichen, haben wir versucht, die Art von Studioerfahrung zu erzeugen, in der unsere Lieblingsalben aus den 60er und 70er Jahren entstanden wären. Wir nahmen uns alle eine Auszeit von der Arbeit und lebten fast zwei Wochen lang Tag und Nacht im Studio, bis die Platte fertig war. Wir legten alles andere in unserem Leben auf Eis und ließen keine Ablenkungen zwischen uns und die Musik kommen. Wir nahmen die Grundlagen für das gesamte Album live auf Analogband auf und legten die restlichen Spuren darüber. Da wir das ganze Album auf einmal aufgenommen haben und dabei permanent gemeinsam Entscheidungen trafen, gibt es einige Unvollkommenheiten, die wir aber als einen Teil der Schönheit des Albums betrachten – wir wollten nicht Monate später immer noch an der Überarbeitung sitzen. Wir haben ein kurzes kleines Video über einen Tag im Aufnahmeprozess gedreht, das ihr hier sehen könnt:
https://www.youtube.com/watch?v=H9pRNuiPYMs&lc=Ugw7puE8_POLU8Qq9bF4AaABAg
HF: Und was könnt ihr uns über das großartige Album-Artwork erzählen?
CM: Das Titelbild ist ein erstaunliches Werk namens “Das Auge der Stille” des deutschen Dadaisten/Surrealisten Max Ernst, das 1943/1944 gemalt wurde. Wir hatten uns allerdings nicht vorgenommen, ein Gemälde von Max Ernst auszuwählen. Wir verbrachten Monate damit nach etwas Passendem für das Cover zu suchen. Ich verbrachte Zeit damit, Stapel von Kunstbüchern in allen Antiquariaten der Stadt nach Inspiration zu durchsuchen. Schließlich schlug ich im staubigen Keller einer alten Buchhandlung in der Innenstadt ein Buch über surrealistische Kunst auf, nachdem ich jahrzehntelang unberührte Bücherstapel durchsah. Und da starrte es mich an. Mein erster Gedanke, als ich es ansah, war “OPULENT DECAY!”, und ich wusste, dass es das war, wonach wir suchten. Für mich zeigt das Bild eine Landschaft der Intentionalität, der die Absicht entzogen wurde – ein Monument des Verfalls. Ein Objekt des Werdens, das sich in seiner wesentlichsten Form in einem Zustand des Verfalls befindet, ohne Funktion oder lesbare Absicht. Es passte perfekt zu unseren künstlerischen Vorstellungen für das Album und glücklicherweise konnten wir es aus dem Nachlass von Max Ernst lizenzieren!
HF: Stichwort „Make it or break it”: Welche Pläne verfolgen SPELL in naher und ferner Zukunft?
CM: Wie für alle anderen auch sind die Dinge für uns im Moment etwas unsicher. Wir mussten unsere Europa- und USA-Tourneen für diesen Frühling und Sommer absagen, aber wir arbeiten daran, sie so bald wie möglich nachzuholen. Wir arbeiten auch hart an neuen Songs und nehmen einige besondere Überraschungen auf, die in naher Zukunft veröffentlicht werden sollen! Langfristig beabsichtigen wir, so lange wie möglich Alben zu veröffentlichen. Dabei soll jedes Album anders sein als das vorherige. Wir erforschen jeden Tag neue Musik und suchen nach neuen Erfahrungen, die wir in unser Handwerk einbringen können, so dass wir nie zweimal das gleiche Album schreiben müssen. Wir drei lieben es, zusammen Musik zu machen, also bleiben wir noch lange dabei. Wenn ihr dachtet, ihr würdet uns loswerden, habt ihr Pech gehabt!
HF: Haha das klingt mehr als erfreulich! Vielen Dank für das Interview. Wir wünschen euch für die Zukunft alles Gute und sind gespannt, was wir als nächstes von euch hören werden.
CM: Vielen Dank und alles Gute!
Interview: Oliver Heberling
Weitere Infos:
With the Hellfire Quick5 interview we try to get as much interesting information as possible out of the musicians, without them having to spend pages of questions/answers.
We at Hellfire try to be (more or less) short and concise within the framework of 5 questions (sometimes a question can be doubled or tripled); it is up to the musician to answer as he/she sees fit: short and concise to rambling and extensive.
This time we talked to Cam Mesmer (vocals/bass) from SPELL:
HF: First of all, congratulations on the successful release of Opulent Decay! The album was received extremely positive by the relevant press. What differences and developments compared to its predecessor For None And All would you describe yourself?
CM: Hey, thanks so much for taking the time for us. The main difference, I think, is that our influences are constantly growing wider. We love all kinds of music and we look for inspiration everywhere we can. Also, our process was different this time: when we wrote For None and All we were all living together in a farmhouse and rehearsing every day. For Opulent Decay we no longer live together, but we recorded demos of each song and sent them back and forth to work out our parts. Although we rehearsed less, we spent more time thinking of the careful details of each song. We’re very proud of the result.
HF: In an interview with Deaf Forever magazine you described the contrast between opulence and decay, the habituation to luxury and the strengths one can draw from limitations as a comprehensive theme of your new work. The necessary balance between the two is currently threatening to be thrown off balance in several places. What strengths do you think the global community should focus on, and how can we emerge from the current crisis stronger and then tackle other problems better than before?
CM: While recently discussing the dichotomy of opulence/decay with Al Lester (my brother, SPELL drummer), he pointed out that the contrast between these two apparent opposites can also become its own unique third thing: the state of ruin, when decay has taken over to the extent it becomes a new and ‘unintentional’ aesthetic – a fleeting, transitional identity that is not what it was meant to be and not what it will eventually be, but what it wants to be right now. Like an empty building or an eroding cliff or a decomposing body, this brief state is when a thing is at its MOST extravagant, with the most colours, the biggest sensory features, and when it calls out the loudest! When a place still retains the sense of awe and grandeur that it was originally intended to have, but also the feelings of loss, emptiness and dread that come with it’s decomposition – and each of these feelings are amplified by one another. This is the romantic allure of ‘opulent decay,’ and perhaps also, the state of our world at this moment: the systems and structures of our former ways of life are still in place, but they’re all in question and beginning to rot after months of neglect. When I go outside now I see roads and highways nearly empty, skyscrapers mostly abandoned, and boarded up businesses everywhere I look. It’s anyone’s guess if our world will return to how it was, or what the ‘new normal’ might look like. Although I’m saddened by the immense suffering taking place around the world, I’m hopeful that we’ll be able to take this opportunity to reshuffle our structures of power and refocus on our families, friends and communities rather than working ourselves to death for the profits of billionaires. I hope that if we can show compassion to help those immediately around us and use any extra time we might have to recover from the relentless pressures of our lives and create art and expression in any way we can, then we might be able to come out of this with a better world than before. Yes, this is idealistic, but if you don’t have time for idealism then what’s the point of living?
HF: Back to the music: I share your opinion that Heavy Rock as you do it should be seen and enjoyed as a whole. How do you manage to produce such a fluent album as if it was one piece? Maybe you can give us some insights into the creation process of a SPELL album.
CM: Sure. For us, that sense of unity within an album is very important. I love sitting down and listening to an entire album, as a whole, so that’s what we aspire to create: an entire album, rather than just a series of singles. To do this, we tried to recreate the kind of studio experience in which our favourite albums from the 60’s and 70’s would have been made. We all took time off work and very nearly lived at the studio day and night for two weeks, until the record was complete. We put everything else in our lives on hold and didn’t allow any distractions to come between us and the music. We recorded the bed tracks for the entire album live onto analogue tape, and then layered on top of that. Because we recorded the whole album at once, making permanent decisions collectively as we went, there are some imperfections, but we consider that part of the beauty of it – we didn’t want to get stuck reworking things months later. We filmed a short little video about a day in the recording process, which you can see here:
https://www.youtube.com/watch?v=H9pRNuiPYMs&lc=Ugw7puE8_POLU8Qq9bF4AaABAg
HF: What can you tell us about the great album artwork?
CM: The cover art is an amazing piece called ‘The Eye of Silence” by the German dadaist/surrealist Max Ernst, painted 1943/1944, but we didn’t set out to choose a painting by Max Ernst. We spent months contemplating the cover and searching for something suitable. I spent time searching through piles of art books in every used bookstore in town, looking for inspiration. Finally, in the dusty basement of an ancient bookstore downtown, sifting through disorganized piles that hadn’t been touched in decades, I opened a book on surrealist art and there it was staring me in the face. My first thought when looking at it was ‘OPULENT DECAY!’ and I knew it was the one. To me, the painting shows a landscape of intentionality stripped of intention -– a monument of decay. An object of becoming that is at its most essential form in a state of ruin, without function or legible intent. It fit perfectly with our intentions for the album, and luckily we were able to license it from the estate of Max Ernst!
HF: Keyword “Make it or break it”: What are SPELL’s plans in the near and far future?
CM: As for everyone, things are a little uncertain for us at the moment. We had to cancel our Europe and USA tours for this spring and summer, but we’re working on rebooking them for as soon as possible. We’re also hard at work on new songs, recording a few special surprises to release in the near future! For the long term, we intend to continue releasing albums for as long as we can, and each one will be different then the last. We explore new music every day and seek out new experiences to bring into our craft, so we’ll never write the same album twice. The three of us love playing music together, so we’re in this for the long haul. If you thought you’d be rid of us, you’re out of luck!
HF: Haha that sounds more than pleasant! Thank you very much for the interview. We wish you all the best for the future and are curious what we will hear from you next.
CM: Thanks to you and best wishes!