Geschrieben von Michi Winner
Band: Van Canto
Album: Trust In Rust
Genre: A-Cappella-Metal
Plattenfirma: Napalm Records
Veröffentlichung: 10. August 2018
12 Jahre ist es mittlerweile her, dass ich Van Canto zum ersten Mal live gesehen habe. Bei der Ankündigung einer A-Cappella-Band, die angeblich Metal macht, dachte ich noch: „Das kann nicht gut sein.“ Schon der erste Song hat mich damals eines besseren belehrt. Seit 2006 bin ich also Fan dieser Band. Wie so viele hat daher auch mich die Ankündigung eines personellen Wechsels nicht nur überrascht, sondern auch skeptisch gemacht. Den langjährigen Leadsänger zu ersetzen ist nie einfach. Der Leadgesang ist nun einmal ein prägendes Stilelement für jede Band. Das kann man weder klein Reden noch ignorieren. Aber ein Wechsel ist nicht zwingend gleichbedeutend mit einem Qualitätsverlust, bahnbrechenden Stiländerungen oder gar dem Niedergang der Band. Entsprechend habe ich der neuen Platte sehr gespannt, aber auch entspannt, entgegen gesehen. Seit knapp einer Woche liegt sie nun vor und es hat einen guten Grund, warum bisher noch keine Rezension hier erschienen war. Selten fiel es mir so schwer, ein Album zu beurteilen.
Mir ist klar, dass Hagen nicht Sly ist und daher habe ich auch keine konkreten Erwartungen gehegt. Die Rückkehr von Ike war hingegen ein echter Lichtblick. Nun aber zum Album. Es hilft ja alles nichts.
Der Titeltrack „Back In The Lead“ ist stilistisch typischer Van Canto Sound, vielleicht sogar den älteren Songs ähnlicher als den Neueren. Und hier beginnt auch schon mein Problem: Der Stil und das Songwriting war jetzt über 10 Jahre auf einen Leadsänger mit einer extrem kraftvollen und voluminösen Stimme ausgelegt. Hagens Stimme ist rauer, mit mehr Ecken und Kanten, was ich persönlich toll finde, aber: Hier geht es um A-Cappella, da braucht die Stimme des Leadsängers vor allem eines: Power. Die vermisse ich hier. Diese Kritik bitte nicht falsch verstehen. Hagen ist ein toller Metalsänger und es fallen mir aus dem Stegreif einige Bands ein, die von einem solchen Sänger profitieren würden. Van Canto ist allerdings ein sehr spezieller Fall. Dieser Stil ist einzigartig und über all die Jahre und die Erfahrung haben sich sowohl die Stimmen der „Intrumente“, als auch die von Inga weiter entwickelt. Gerade bei Ingas Parts wird das sehr deutlich. Dass sie so dominant zu hören ist, wird wohl kaum eine reine Frage der Abmischung sein. Vor allem da auch Live über die Jahre deutlich wurde, dass durch die Übung die Stimme immer kraftvoller wurde. Genau das fehlt Hagen. Diese Übung und Erfahrung kann er aber auch schlicht nicht haben.
Dem trägt das Songwirting leider kaum Rechnung, so dass man immer das Gefühl hat, Inga müsse mit Gewalt und Lautstärke die fehlende Power von Hagen übertönen. Alternativ hat man den Eindruck, sie singt ihn an die Wand. Das hätte meiner Meinung nach besser oder anders gelöst werden können und sollen. Womit wir beim nächsten „aber“ sind: es ist das erste Album mit dem neuen Leadsänger und dieser hat Potential. Ich denke mit entsprechender Übung und gegebenenfalls einer Anpassung des Stils, ist hier noch einiges möglich.
Dieser erste Eindruck setzt sich auf der geamten CD so fort. Ausnahme ist hier das Cover von „Hells Bells“ da der Song Hagens Stimme sehr entgegen kommt, bekommt man einen guten Eindruck davon, was mit ihm möglich ist. Für mich ein sehr gelungenes Cover. Ich habe außerdem festgestellt, dass die Platte insgesamt gar nicht so schlecht abschneidet, wenn man eben nicht so genau hin hört und versucht sie zu analysieren und mit den älteren Sachen zu vergleichen.
Es gibt in der Deluxe Edition noch eine zweite CD, die nur neue Versionen von alten Songs enthält. Hier hat man automatisch den Vergleich zu Sly. Entsprechend hat es ganze 14 Sekunden gedauert, bis ich die Stopptaste gedrückt habe, um erst mal eine Runde zu jammern. In diesem direkten Vergleich werden die aktuell vorhanden Defizite was Power, Volumen und auch Stimmumfang betrifft einfach sehr deutlich.
Ich bin nach wie vor hin und her gerissen und habe beschlossen die Tour abzuwarten und mir die neuen Songs live anzuhören, in der Hoffnung, dass sie mich da überzeugen.
Abschließend kann ich nur jedem nahe legen diesem Album so offen wie möglich gegenüber zu treten und der Band eine faire Chance zu geben ihren neuen Weg zu finden.
Trackliste:
- Back In The Lead
- Javelin
- Trust In Rust
- Ride The Sky
- Melody
- Neverland
- Desert Snake
- Darkest Days
- Infinity
- Hells Bells
- Heading Home
Line-Up:
Hagen Hirschmann: Lead Vocals
Inga Scharf: Lead Vocals
Ross Thompson: Higher Rakkatakka Vocals
Stefan Schmidt: Lower Rakkatakka Vocals
Jan Moritz: Pad und Bass Vocals
Ingo Sterzinger: Bass und Backing Vocals
Bastian Emig: Schlagzeug und Backing Vocals
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